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Das Letzte Einhorn und Zwei Herzen

Titel: Das Letzte Einhorn und Zwei Herzen
Autoren: Peter S. Beagle
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Händen feste werfen – das musste Wilfrid schon feststellen, als ich noch klein war – und der Greif sah jäh auf, als ihn der Stein seitlich am Hals traf. Das gefiel mir gar nicht, aber er war viel zu sehr mit König Lír beschäftigt, um sich um mich zu kümmern. Ich glaubte keinen Moment, dass mein Ast selbst gegen einen halbtoten Greif irgendetwas ausrichten könnte, warf ihn aber so weit von mir, wie ich konnte, damit der Greif kurz wegguckte, und sobald er es tat, rannte ich los und hechtete nach dem Griff von König Lírs Schwert, der unter seinem hingesunkenen Körper hervorguckte. Ich wusste, ich konnte das Schwert hochheben, weil ich es ihm ja umgegürtet hatte, bevor wir aufgebrochen waren.
    Doch ich bekam es nicht unter ihm hervor. Er war zu schwer, genau wie Malka. Aber aufgeben und loslassen kam nicht in Frage. Ich zog und zog an diesem Schwert und spürte gar nicht, dass Molly wieder an mir zog, und merkte auch nicht, dass der Greif jetzt über König Lír hinweg auf mich zu kroch. Schmendrick hörte ich, ganz weit weg, und ich dachte, dass er wieder eins von den albernen Liedchen sang, die er sich für mich ausdachte, aber warum sollte er das gerade jetzt tun? Dann hob ich schließlich den Kopf, um mir das schweißnasse Haar aus dem Gesicht zu streichen, und fast im selben Moment packte mich der Greif mit einer seiner Klauen, riss mich von Molly weg und warf mich auf König Lír. Seine Rüstung war so kalt an meiner Wange, es war, als ob sie mit ihm gestorben wäre.
    Der Greif sah mir in die Augen. Das war das Allerschlimmste, schlimmer als der Schmerz dort, wo mich seine Klaue gepackt hielt, schlimmer noch, als meine Eltern und den blöden Wilfrid nie wiederzusehen, schlimmer als zu wissen, dass ich weder den König noch Malka hatte retten können. Greife vermögen nicht zu sprechen (Drachen schon, aber nur mit Helden, hatte mir König Lír erklärt), doch diese goldenen Augen sagten zu meinen Augen: »Ja, ich werde bald sterben, aber ihr seid jetzt schon tot, alle miteinander, und ich werde eure Knochen blankpicken, ehe die Raben meine kriegen. Und eure Leute werden sich noch daran erinnern, wer ich war und was ich ihnen getan habe, wenn in eurem elenden, erbärmlichen Ameisenhaufen niemand mehr eure Namen kennt. Also habe ich gewonnen.« Und ich wusste, es stimmte.
    Da war nichts außer diesem Schnabel und dem flammenden Schlund, der sich über mir öffnete.
    Dann war da doch etwas.
    Ich hielt es für eine Wolke. Ich war so benommen und zu Tode verängstigt, dass ich wirklich dachte, es wäre eine weiße Wolke, eine, die so tief und schnell dahinzog, dass sie den Drachen von König Lír und mir wegschleuderte und mich gleichzeitig in Mollys Arme warf. Molly hielt mich so fest, dass sie mich fast erdrückte, und erst als ich meinen Kopf loswand, sah ich, was da gekommen war. Im Geist sehe ich es immer noch. Auch jetzt.
    Sie haben überhaupt keine Ähnlichkeit mit Pferden. Ich weiß nicht, wie die Leute darauf kommen. Vier Beine und ein Schweif, ja, aber die Hufe sind gespalten wie bei einem Reh oder einer Ziege, und der Kopf ist kleiner und – spitzer – als bei einem Pferd. Und der ganze Körper ist anders, es ist, als ob man sagen würde, eine Schneeflocke sieht aus wie eine Kuh. Das Horn wirkt zu lang und zu schwer für den Körper, man kann sich nicht vorstellen, wie so ein zarter Hals ein so großes Horn oben halten kann. Aber er kann es.
    Schmendrick war auf die Knie gefallen, hatte die Augen zu und bewegte die Lippen, als ob er immer noch singen würde. Molly flüsterte in einem fort, »Amalthea… Amalthea…«, nicht an mich gerichtet, an niemanden. Das Einhorn stand dem Greif gegenüber, den Körper des Königs zwischen sich und ihm. Seine Vorderbeine zuckten und tänzelten ein bisschen, aber die Hinterbeine spannten sich zum Angriff wie bei einem Widder. Nur dass Widder den Kopf senken, während das Einhorn ihn hochhielt, sodass das Horn im Sonnenlicht schimmerte wie eine Muschel. Es stieß einen Schrei aus, bei dem ich mich in Mollys Röcken verkriechen und mir die Ohren zuhalten wollte: Es klang so wund, so… schmerzerfüllt. Dann senkte es den Kopf.
    Halbtot hin oder her, der Greif lieferte einen erbitterten Kampf. Er hüpfte auf das Einhorn zu, wich dann aber im letzten Moment aus und schnappte im Vorbeisausen mit dem blutigen Schnabel nach den Beinen des Einhorns. Doch jedesmal warf sich das Einhorn herum, viel schneller, als es ein Pferd gekonnt hätte, und ging zum
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