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Das leere Land

Das leere Land

Titel: Das leere Land
Autoren: Walter Kohl
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Trixi sie und sagte, dass sie den letzten Bus nach Wesenufer versäumt habe und beim Autostoppen in der Gegend hängengeblieben sei, da habe sie gedacht, sie schaue mal vorbei, vielleicht hätte ich ja noch vor, in Richtung Passau zu fahren, und dann könnte ich ja möglicherweise, wenn es keine Umstände mache –
    Natürlich fährt er Sie heim, sagte meine Mutter.
    Natürlich, sagte ich.
    Dann wurde meine Mutter lebhaft und fragte das Wasserluchsweibchen, was und wo es arbeite, Bürojob, sagte Trixi, in Linz, und ob sie einen Freund habe, im Prinzip schon, aber der sei immer sehr viel unterwegs, und dann sagte meine Mutter, dass sie morgen ja sicher sehr früh wieder nach Linz hinein müsse, da sei es doch gescheiter, wenn sie hier übernachte. Ich fahr sie schon, sagte ich, muss nur noch den Computer abschalten, aber Trixi hatte dankbar genickt, und meine Mutter ließ sich nicht mehr davon abbringen, gleich verschwand sie und holte Zeug aus ihrem Schlafzimmer und richtete eine Bettstatt her auf der Wohnzimmercouch. Die junge Dame hat sicher Hunger, sagte sie, nahm sie an der Hand und zog sie in die Küche.
    Ich hockte mich wieder vor den Laptop, mir fiel nichts ein, ich las durch, was ich eben getippt hatte. Dass ich mir als Abschluss des Aufsatzes eine persönliche Bemerkung erlaube, hatte ich geschrieben, des Inhalts, dass ich Severinus bewunderte. Nicht wegen seiner Wunder, und nicht wegen seiner staatsmännischen Leistungen oder wegen seiner militärischen und verwaltungstechnischen Schwerstarbeit, nicht wegen Trost und Rat, den er den gequälten Romanen gewährt hatte ohne Unterlass. Sondern weil er einer gewesen war, der Möglichkeiten schaffte. Genau genommen nur eine Möglichkeit, die aber war eine ganz große. Er hatte das Land leer gewischt von Kasten und Standesordnungen und Traditionen, er hatte es leer gemacht von allem, das sich nur deshalb nicht ändern konnte und wollte, weil es halt immer schon so gewesen war. Und hatte es damit bereit und offen gemacht für etwas, das anders hätte sein können als es immer gewesen war.
    Ich sah hoch zu der Kopie des Stiches aus Zinnhoblers Arbeit, die ich an die Pinnwand über dem Schreibtisch gehängt hatte. Der Heilige Severin erweckt den Presbyter Silvinus zum Leben. Die Ordensmänner auf dem Bild trugen Gewänder wie heutige Kardinäle, und der Innenraum der hölzernen Künzinger Pfahlbaukirche, in dem sich diese Szene abgespielt hatte, sah aus wie jener eines aus riesenhaften Kalksteinblöcken geformten Domes. Das hat der Heilige Mann nicht verdient. Verdient hat er Anerkennung, für das, was er getan hat. Er hat uns Nachfolgenden das Land hinterlassen als leere Leinwand, auf der jeder seine Skizze auftragen hätte können, von sich selbst als das, was er ist, und das, was er zu werden imstande und willens ist.
    Leer lag das Land da am großen Strom und wartete. Doch niemand nutzte die Möglichkeit, durch all die Jahrhunderte nicht. Niemand skizzierte Neues, den Stift führten gleich wieder die, die ihn immer schon geführt hatten, sie skizzierten nichts, sie legten die Schablonen auf die leere Leinwand und pausten die alten Muster drauf, und wiederum diejenigen, die immer schon die Farben ausgesucht hatten, kolorierten die Blaupause nach ihrem Geschmack. Und zu ihrem Vorteil. Bis am Ende nicht mehr daraus wurde als eine länderübergreifende Doppellandesausstellung im Geiste und zum Nutzen von Regionalentwicklung und medienkompatibler Strukturverbesserung. Doch das ist nicht Severinus’ Schuld. Sein Verdienst wird nicht geschmälert. Severinus ist der Ermöglicher. Dass wir die Möglichkeiten, die er eröffnet hat, nicht nutzten, ist unser Versagen.
    Dass die beiden Frauen so lange schon in der Küche waren, machte mich nervös, ich täuschte vor, zur Toilette zu gehen, die Küchentür war nur angelehnt, ich öffnete sie, wollte als Vorwand sagen, dass ich auch noch ein wenig Appetit verspürte, fragen, was denn serviert werde. Die beiden standen neben dem Ceranfeldherd, meine Mutter gegen die Anrichte gelehnt, Trixi hielt die Arme um sie geschlungen. Als sie mich in der halb offenen Tür sah, wehrte sich meine Mutter gegen die Umarmung, aber Trixi ließ sie nicht los. Plötzlich wurde der starre steife Körper meiner Mutter weich, sie begann zu weinen, das Wasserluchsweibchen stand einfach nur da und hielt sie fest, nach Minuten erst ließ sie ihre Arme sinken, aber jetzt war es die alte Frau, die die andere, die junge, nicht losließ. Trixi strich
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