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Das Leben, natürlich: Roman (German Edition)

Das Leben, natürlich: Roman (German Edition)

Titel: Das Leben, natürlich: Roman (German Edition)
Autoren: Elizabeth Strout
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erscheinen, angriffslustig. Er hörte reglos zu. Dann lehnte er sich vor, um seine Schuhe aufzubinden. »Hat er ihre Kleider aus dem Fenster geworfen?«, fragte er.
    »Ich habe nichts gesehen«, sagte Bob.
    »Familien«, sagte Jim. »Ohne sie wäre die Hälfte aller Strafrechtler arbeitslos. Ist dir klar, Helen, dass du einfach nur die Polizei holen und behaupten müsstest, ich hätte dich geschlagen, und schon säße ich bis morgen früh hinter Gittern?«
    »Ich habe nicht vor, dich einsperren zu lassen.« Helen sagte es im Plauderton. Sie stand auf und zog den Bund ihres Rocks glatt. »Aber wenn du dich noch umziehen willst, dann mach. Ich habe Hunger.«
    Bob beugte sich nach vorn. »Jimmy, irgendwie hat mich das fertiggemacht. Wie sie ihn abgeführt haben. Keine Ahnung, wieso.«
    »Werd erwachsen«, sagte Jim. »Mann! Was erwartest du von mir?« Er zog einen Schuh aus, rieb seinen Fuß. »Wenn du willst«, fügte er hinzu, »kann ich nachher ja mal anrufen. Mich vergewissern, dass ihm nichts fehlt. Dem hübschen weißen Knaben im Knast.«
    Nebenan klingelte das Telefon, mitten hinein in Bobs: »Ja? Würdest du das tun, Jim?«
    »Das wird deine Schwester sein«, sagte Helen. »Sie hat’s vorhin schon probiert.«
    »Sag, ich bin noch nicht da, Hellie.« Jim warf seine Socke vor sich auf den Parkettboden. »Wann hast du das letzte Mal mit Susan gesprochen?«, fragte er Bob und zog auch den anderen Schuh aus.
    »Vor Monaten«, sagte Bob. »Als wir diese Diskussion über die Somali hatten, von der ich dir erzählt hab.«
    »Warum sind überhaupt Somalier in Maine?«, fragte Helen, während sie nach drüben ging. Und über die Schulter: »Warum geht irgend wer nach Shirley Falls, es sei denn in Fesseln?«
    Es überrumpelte Bob jedes Mal, wenn Helen so redete, als sei es unnötig, aus ihrer Abneigung gegen die Herkunft der Burgess ein Hehl zu machen. Aber Jim rief zurück: »Sie sind in Fesseln. Armut ist eine Fessel.« Er warf die zweite Socke der ersten hinterher; sie blieb an der Ecke des Couchtischs hängen.
    »Susan hat gesagt, es wäre eine richtige Invasion«, fuhr Bob fort. »Die Somali würden in Schwärmen einfallen. Vor drei Jahren wären nur ein paar Familien da gewesen, und inzwischen wären es zweitausend, und kaum dreht man sich um, wird schon die nächste Busladung herangekarrt. Ich habe gesagt, sie soll nicht hysterisch sein, und sie sagte, Frauen bekämen immer gleich Hysterie unterstellt, und bei den Somali könnte ich sowieso nicht mitreden, weil ich schließlich seit Ewigkeiten nicht mehr in Shirley Falls war.«
    »Jim.« Helen kam ins Wohnzimmer zurück. »Sie muss dich unbedingt sprechen. Sie klingt völlig aufgelöst. Ich konnte nicht lügen. Ich habe gesagt, du bist gerade erst heimgekommen. Tut mir leid, Liebling.«
    Jim berührte im Vorbeigehen ihre Schulter. »Schon gut.«
    Helen bückte sich und hob Jims Socken auf, und Bob, der ihr zusah, fragte sich, ob Pam, wenn er wie Jim seinen Mantel aufgehängt hätte, vielleicht weniger wütend über die Socken gewesen wäre.
    Nach einem langen Schweigen hörten sie Jim in ruhigem Ton Fragen stellen. Worte konnten sie keine verstehen. Darauf noch ein langes Schweigen, noch mehr ruhige Fragen, Kommentare. Immer noch war nichts zu verstehen.
    Helen fingerte an ihrem zierlichen Ohrring herum und seufzte. »Schenk dir noch einen Drink ein. Da es ja offenbar länger dauern wird.« Aber die Anspannung blieb. Bob lehnte sich auf dem Sofa zurück und beobachtete durchs Fenster die Leute, die draußen von der Arbeit heimgingen. Das Haus lag nur sechs Straßen von Bobs Wohnung entfernt, auf der anderen Seite der Seventh Avenue, aber Witze über Studentenwohnheime verboten sich hier von selbst. In Jims und Helens Straße lebten Erwachsene. Banker und Ärzte und Reporter, Menschen, die Aktenmappen und eine erstaunliche Vielfalt an schwarzen Taschen bei sich trugen, besonders die Frauen. Die Bürgersteige hier waren gepflegt und die kleinen Vorgärten mit Ziersträuchern bepflanzt.
    Helen und Bob wandten beide den Kopf, als sie Jim auflegen hörten.
    Jim stand in der Tür. Die rote Krawatte hing lose um seinen Hals. »Wir können nicht fahren«, sagte er. Helen setzte sich gerader hin. Mit einem wütenden Ruck riss Jim sich die Krawatte ganz herunter und sagte zu Bob: »Unser Neffe wird verhaftet.« Er war blass im Gesicht, seine Augen waren schmale Schlitze. Er ließ sich aufs Sofa fallen und legte den Kopf in die Hände. »O Mann. Das wird für Schlagzeilen
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