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Das Leben, natürlich: Roman (German Edition)

Das Leben, natürlich: Roman (German Edition)

Titel: Das Leben, natürlich: Roman (German Edition)
Autoren: Elizabeth Strout
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vielfach abgestuften Schwärze, wurden vom Wind auseinandergezerrt, so dass breite Sonnenstreifen auf die Gebäude der Seventh Avenue herabschossen. Hier waren die Chinarestaurants, die Papeterien, die Juweliergeschäfte, die Lebensmittelläden mit ihren Obst- und Gemüseauslagen, den Reihen von Schnittblumen. Bob Burgess ging an allem vorüber und weiter zum Haus seines Bruders.
    Bob war ein großer Mann, einundfünfzig Jahre alt, und das wohl Bezeichnendste an ihm: Es war leicht, ihn gern zu mögen. Bei ihm fühlte sich jeder sofort angenommen. Wäre Bob das klar gewesen, hätte sein Leben möglicherweise anders ausgesehen. Aber es war ihm nicht klar, und oft ergriff ihn eine unbestimmte Furcht. Außerdem mangelte es ihm an Konstanz. Seine Freunde waren sich einig, dass er die Herzlichkeit in Person sein konnte, und beim nächsten Mal wirkte er in Gedanken weit weg. Darüber war Bob sich im Klaren, seine Exfrau hatte es ihm gesagt. Sich im Kopf davonstehlen, hatte Pam es genannt.
    »Das passiert Jim aber auch«, hatte Bob sich verteidigt.
    »Von Jim reden wir nicht.«
    Während er jetzt am Bordstein auf Grün wartete, erfasste ihn eine Welle der Dankbarkeit für seine Schwägerin, die gesagt hatte: »Wir gehen was essen, wenn Jim heimkommt.« Denn eigentlich wollte er zu Jim. Was er vorhin aus seinem Fenster im dritten Stock beobachtet hatte, was er aus der Wohnung unter seiner gehört hatte – es verstörte ihn, und als er weiterging, über die Straße und vorbei an einem Coffeeshop, in dessen höhlenartigem Dämmer junge Leute auf Sofas saßen und gebannt in ihre Laptops starrten, fühlte Bob sich all dem Vertrauten rings um ihn entfremdet. Als würde er nicht sein halbes Leben schon in New York leben und es lieben, wie man einen Menschen liebt, als wäre er nie fortgegangen von den weiten struppigen Wiesen Neuenglands, hätte nie etwas anderes gekannt und ersehnt als den düsteren Himmel dort.
    »Eure Schwester hat angerufen«, sagte Helen, als sie Bob die Gittertür vor dem Backsteinhaus öffnete. »Wollte Jim sprechen und klang recht grimmig.« Sie hängte Bobs Jacke in den Garderobenschrank und fügte dann hinzu: »Ich weiß. Das ist einfach ihre Art. Obwohl, einmal habe ich Susan tatsächlich lächeln sehen.« Helen setzte sich aufs Sofa und zog die schwarzbestrumpften Beine unter sich. »Das war, als ich mit Mainer Akzent zu sprechen versucht habe.«
    Bob saß im Schaukelstuhl. Seine Knie wippten auf und ab.
    »Niemand sollte jemals versuchen, vor jemandem aus Maine mit Mainer Akzent zu sprechen«, fuhr Helen fort. »Ich weiß nicht, warum die Südstaatler da so viel netter sind, aber es ist so. Wenn man zu einem Südstaatler › Hi, ya’ll ‹ sagt, erntet man nicht diesen süßsäuerlichen Blick. Bobby, du hältst keine Sekunde still.« Sie beugte sich vor, tätschelte die Luft. »Nein, egal. Du brauchst nicht stillzuhalten, solange es dir dabei gut geht. Geht’s dir gut?«
    Sein Leben lang hatte Freundlichkeit Bob schwach gemacht, und auch jetzt spürte er es fast körperlich, dieses seltsam flüssige Gefühl in der Brust. »Nicht besonders«, gab er zu. »Aber das mit dem Akzent stimmt schon. Wenn Leute sagen, ›Hey, du kommst aus Maine, you can’t get they-ah from he-yah ‹, dann tut das weh. Richtig weh.«
    »Das habe ich gemerkt«, sagte Helen. »Jetzt erzähl, was passiert ist.«
    Bob sagte: »Adriana und ihr Schnösel hatten mal wieder Streit.«
    »Moment«, sagte Helen. »Ach so, ja. Das Ehepaar unter dir. Mit diesem übergeschnappten kleinen Hund, der immer so kläfft.«
    »Genau.«
    »Erzähl weiter«, sagte Helen, zufrieden, dass sie sich erinnert hatte. »Nein, warte eine Sekunde. Weißt du, was ich gestern in den Nachrichten gesehen habe? Diesen Beitrag, der ›Starke Männer mögen kleine Hunde‹ hieß. Da wurden lauter irgendwie – pardon – tuntig aussehende Männer interviewt, die alle diese winzig kleinen Hunde in karierten Regenmäntelchen und Gummistiefelchen auf dem Arm hatten, und ich dachte: Das nennen die Nachrichten? Der Irakkrieg dauert jetzt schon fast vier Jahre, und so was nennen die Nachrichten? Das kommt, weil sie keine Kinder haben. Deshalb ziehen die ihre Hunde so an. Bob, bitte entschuldige. Erzähl deine Geschichte weiter.«
    Helen nahm ein Kissen auf den Schoß und streichelte es. Ihr Gesicht war ganz rosa, und Bob, der es für eine Hitzewallung hielt, sah taktvoll auf seine Hände hinab und merkte gar nicht, dass Helen deshalb errötete, weil sie über Leute
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