Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Leben, natürlich: Roman (German Edition)

Das Leben, natürlich: Roman (German Edition)

Titel: Das Leben, natürlich: Roman (German Edition)
Autoren: Elizabeth Strout
Vom Netzwerk:
sprach, die keine Kinder hatten – wie Bob.
    »Sie streiten«, sagte Bob. »Und wenn sie streiten, brüllt der Schnösel immer dasselbe. ›Du hast wohl den Arsch offen, Adriana!‹ In einer Tour brüllt er das.«
    Helen schüttelte den Kopf. »Was für ein Leben. Möchtest du einen Drink?« Sie stand auf und trat an den Mahagonischrank, wo sie Whiskey in ein Kristallglas goss. Sie war eine kleine Frau; in ihrem schwarzen Rock und beigefarbenen Pullover machte sie immer noch eine gute Figur.
    Bob nahm einen großen Schluck. »Wurscht«, sagte er und sah Helen das Gesicht verziehen. Sie hasste es, wenn er »wurscht« sagte, aber das vergaß er jedes Mal; auch jetzt hatte er es wieder vergessen, weil er nur daran dachte, dass er es nicht schaffte. Dass er ihr nicht deutlich machen konnte, wie traurig das Ganze gewesen war. »Sie kommt heim«, sagte Bob. »Und schon geht das Gezanke los. Er lässt sein übliches Gebrüll vom Stapel. Dann geht er mit dem Hund raus. Aber diesmal holt sie die Polizei, während er weg ist. Das hat sie vorher noch nie gemacht. Er kommt zurück, und sie nehmen ihn fest. Seine Frau hätte gesagt, er hätte sie geschlagen. Das konnte ich die Cops sagen hören. Und er hätte ihre Kleider aus dem Fenster geschmissen. Also haben sie ihn festgenommen. Und er war absolut baff .«
    Helen schien nicht recht zu wissen, was sie sagen sollte.
    »Er ist so ein schnieker Typ, ganz cool in seinem Reißverschlusspulli, und er stand da und weinte. ›Baby, ich hab dich doch nie geschlagen, Baby, in sieben Jahren Ehe nicht, was tust du da, Baby, bitte!‹ Aber sie haben ihm Handschellen angelegt und ihn am helllichten Tag über die Straße zu ihrem Streifenwagen geführt, und jetzt darf er die Nacht im Knast verbringen.« Bob stemmte sich aus dem Schaukelstuhl hoch, trat an den Mahagonischrank und schenkte sich Whiskey nach.
    »Was für eine traurige Geschichte«, sagte Helen. Sie war enttäuscht. Sie hatte sich etwas Dramatischeres erhofft. »Aber das hätte er sich überlegen sollen, bevor er sie schlägt.«
    »Ich glaube nicht, dass er sie geschlagen hat.« Bob kehrte zum Schaukelstuhl zurück.
    »Ob sie wohl verheiratet bleiben?«, sagte Helen nachdenklich.
    »Ich kann’s mir nicht vorstellen.« Bob war jetzt müde.
    »Was hat dir daran so zugesetzt, Bobby?«, fragte Helen. »Die zerrüttete Ehe oder die Verhaftung?« Sie nahm es persönlich – dieses Unerlöste in seinem Blick.
    Bob wippte vor und zurück. »Alles.« Er schnippte mit den Fingern. »Dass so was einfach so passieren kann. Ich meine, es war doch ein ganz normaler Tag, Helen.«
    Helen schüttelte das Kissen auf, schob es wieder an seinen Platz. »Ich weiß nicht, was normal an einem Tag sein soll, an dem man seinen Mann verhaften lässt.«
    Bob wandte den Kopf und sah durch die Gitterfenster seinen Bruder den Weg entlangkommen, und ein Hauch von Furcht befiel ihn bei dem Anblick: der forsche Schritt seines älteren Bruders, sein langer Mantel, die dicke Ledermappe. Der Schlüssel drehte sich im Schloss.
    »Hallo, Schatz«, sagte Helen. »Dein Bruder ist da.«
    »Das sehe ich.« Jim zog den Mantel aus und hängte ihn in den Garderobenschrank. Bob hatte es nie gelernt, seinen Mantel aufzuhängen. Was ist das bei dir?, hatte Bobs Frau, Pam, ihn immer gefragt. Was ist das, was ist das, was ist das? Ja, was war es? Bob konnte es selbst nicht sagen. Aber wann immer er irgendwo hereinkam und keiner ihm den Mantel abnahm, erschien ihm die Vorstellung, ihn aufzuhängen, überflüssig und … ja, zu schwierig.
    »Ich sollte gehen«, sagte Bob. »Ich muss noch einen Schriftsatz fertig machen.« Bob war Rechtshelfer am Berufungsgericht, wo er Akten für die Verhandlung bearbeitete. Irgendeine Berufung, für die ein Schriftsatz fertig gemacht sein wollte, gab es immer.
    »Unsinn«, sagte Helen. »Ich habe gesagt, wir gehen zusammen was essen.«
    »Runter von meinem Stuhl, Goofy.« Jim winkte vage in Bobs Richtung. »Lange nicht gesehen. Wie viele Tage waren das jetzt – vier?«
    »Hör auf, Jim. Dein Bruder musste vorhin zuschauen, wie dieser Nachbar aus der Wohnung unter ihm in Handschellen abgeführt wurde.«
    »Randale im Studentenwohnheim?«
    »Jim, nicht.«
    »Mein großer Bruder kann nicht anders«, sagte Bob. Er wechselte aufs Sofa hinüber, und Jim ließ sich in den Schaukelstuhl fallen.
    »Dann schieß los.« Jim verschränkte die Arme. Er war groß und muskulös, und wenn er die Arme verschränkte, was er oft tat, ließ ihn das massig
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher