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Das Leben, natürlich: Roman (German Edition)

Das Leben, natürlich: Roman (German Edition)

Titel: Das Leben, natürlich: Roman (German Edition)
Autoren: Elizabeth Strout
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Kaffee zurück. »Habt ihr die Taxifahrer gesehen? Da sind auch Somali dabei. In Minneapolis konnten ein paar nicht eingestellt werden, weil sie nicht bereit waren, Fahrgäste zu befördern, die Alkohol getrunken hatten.«
    »Woher wollen sie wissen, ob jemand Alkohol getrunken hat?«, fragte Susan. »Und geht sie das überhaupt etwas an? Ich meine, wenn sie so dringend eine Arbeit suchen?«
    »Susie-Q, Susie-Q. Behalte solche Ansichten lieber für dich. Dass dein Sohn heute heimkommen kann, verdankt er einem gewissen Abdikarim.« Bob zog die Brauen hoch und nickte. »Im Ernst. Der Mann, der bei der Anhörung ausgesagt hat. Er ist sehr angesehen in der Somali-Gemeinschaft. Er nimmt großen Anteil an Zachs Schicksal – er hat sich bei den Ältesten für ihn eingesetzt. Ohne ihn hätte die Staatsanwaltschaft den Fall wahrscheinlich nicht zu den Akten gelegt, und Zach würde der Prozess gemacht. Ich habe mich gestern mit ihm unterhalten.«
    Susan schien sich mit der Vorstellung schwerzutun. Stirnrunzelnd sah sie Bob an. »Das hat dieser Somalier gemacht? Warum?«
    »Ich sag doch, er mag Zach irgendwie. Offenbar erinnert er ihn an seinen Sohn, den er vor Jahren verloren hat, in seiner Heimat noch.«
    »Ich weiß nicht, was ich sagen soll.«
    Bob zuckte die Achseln. »Tja, dann. Behalt’s einfach im Hinterkopf. Und es kann auch nicht schaden, wenn Zach es erfährt.«
    Jim hatte während des ganzen Gesprächs geschwiegen. Als er aufstand, fragte Susan, wo er hinwolle. »Aufs Klo. Wenn du gestattest.« Er ging durch den Bahnhof, gebeugt und dünn.
    Susan und Bob sahen ihm nach. »Ich mach mir schreckliche Sorgen um ihn«, sagte Susan, den Blick auf den Rücken ihres Bruders gerichtet.
    »Äh, Susie … « Bob stellte sich den Kaffeebecher zwischen die Füße. »Jim sagt, dass er es war. Und nicht ich.«
    Susan wartete, sah ihn an. »Dass er was war – das ? Wirklich? Mein Gott. Aber das kann doch nicht sein, oder? Du glaubst doch nicht, dass das stimmt?«
    »Ich fürchte, das werden wir nie erfahren.«
    »Aber er glaubt, dass er es war?«
    »So scheint es, ja.«
    »Wann hat er dir das gesagt?«
    »Als Zach verschwunden war.«
    Sie beobachteten ihn, wie er durch die Halle zu ihnen zurückkam. Er wirkte nicht mehr groß, wie früher immer, nur alt und verhärmt in seinem langen Mantel. »Habt ihr über mich geredet?« Er setzte sich zwischen sie.
    »Ja«, sagten sie im Chor.
    Über die Lautsprecher kam der Aufruf für den Bus nach New York. Die Zwillinge wechselten einen Blick, sahen dann auf Jim. Jims Kiefer zuckte. »Steig ein, Jimmy«, sagte Susan sanft.
    »Ich hab keine Fahrkarte. Ich hab mein Zeug nicht dabei, und die Linie ist zu … «
    »Fahr, Jim.« Bob hielt seinem Bruder die Fahrkarte hin. »Los. Ich lasse mein Telefon an. Mach schon.«
    Jim blieb sitzen.
    Susan schob die Hand unter seinen Ellenbogen, Bob fasste Jims anderen Arm; alle drei standen auf. Wie einen Gefangenen führten sie ihn zum Ausgang. Als er die paar Meter von der Tür zu dem wartenden Bus zurücklegte, durchfuhr Susan ein jäher Stich der Verzweiflung – als ginge Zach aufs Neue von ihr fort.
    Jim drehte sich um. »Grüßt mir meinen Neffen«, sagte er. »Und sagt ihm, wie froh ich bin, dass er wieder da ist.«
    Sie sahen zu, wie er in den Bus stieg. Die getönten Scheiben nahmen ihnen die Sicht auf ihn. Sie warteten, bis der Bus abgefahren war, dann kehrten sie zu ihren Plastikstühlen zurück. Schließlich sagte Bob: »Willst du nicht doch einen Kaffee?«
    Susan schüttelte den Kopf.
    »Wie lange noch?«, fragte er, und Susan sagte, zehn Minuten. Er berührte ihr Knie. »Sorg dich nicht wegen Jimmy. Wenn alle Stricke reißen, hat er immer noch uns«, und Susan nickte. Er machte sich klar, dass sie wahrscheinlich nie wieder über den Tod ihres Vaters sprechen würden. Auf die Fakten kam es nicht an. Es kam auf ihre Geschichten an, und jeder von ihnen hatte seine Geschichte, die ihm ganz allein gehörte.
    »Da kommt er.« Susan packte seinen Arm. Hinter dem Bahnhofsfenster schob sich der Bus ins Bild, wie eine übergroße freundliche Raupe kam er angekrochen. Die Wartezeit an der Tür schien endlos und dann zu kurz, denn mit einem Mal stand Zachary vor ihnen: Haarsträhnen in der Stirn, groß, mit verlegenem Grinsen. Zach.
    »Hi, Mom.« Und dann trat Bob einen Schritt zurück, während seine Schwester ihren Sohn umarmte, sie hielten und hielten sich, leicht hin und her schwankend. Die Leute machten einen höflichen Bogen um sie, manche
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