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Das Leben, natürlich: Roman (German Edition)

Das Leben, natürlich: Roman (German Edition)

Titel: Das Leben, natürlich: Roman (German Edition)
Autoren: Elizabeth Strout
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egal. Enorm privilegiert, diese Kids hier, Bob. Die Söhne der Industriekapitäne, das sind sie. Einer am Institut hat mir erzählt, die Wirtschaftsbosse schicken ihre Jungs nach Wilson, weil da Verlass drauf ist, dass sie gute Republikaner bleiben.«
    »Wie bist du überhaupt an den Job rangekommen?«
    Jim zuckte die Achseln, inhalierte. »Hat Alan mir verschafft. Er kennt einen von den Profs hier, der nach einer OP erst mal beurlaubt ist oder so.«
    »Rauchst du viel von dem Zeug?« Bobby zeigte auf den Joint in Jims Hand. »Für einen Kiffer hast du bisschen wenig Speck auf den Rippen.«
    Wieder zuckte Jim die Achseln.
    »Wie – du nimmst noch was anderes? Du hast doch nie … großer Gott, Jim. Gehört das mit zu deinem neuen Selbstzerstörungsprogramm?«
    Jim winkte müde ab.
    »Aber von Koks lässt du hoffentlich die Finger, oder? Ich meine, denk an dein Herz.«
    »Mein Herz. Stimmt. An das sollte ich denken.«
    Bob stand auf und schaute in den Kühlschrank. Bier, ein Karton Milch, ein Glas mit Oliven. Er ging zu Jim zurück. »Tja, wer O.J. ist, dürften sie inzwischen wissen. Er ist wieder im Gefängnis. Das heißt, vorübergehend noch mal auf freiem Fuß. Aber diesmal ist er reif.« Er setzte sich vorsichtig wieder auf den Stuhl. »Genauso wie dein Freund Wally.«
    »Richtig, ja.« Jims Augen röteten sich um die Ränder. »Aber den Wilson-Studenten geht das am Arsch vorbei.«
    »Ich glaube, es geht allen am Arsch vorbei«, sagte Bob.
    »Ja, so wird’s sein.«
    Nach einem Augenblick fragte Bob: »Und, hast du von Wally gehört?«
    Jim nickte. »Diesmal muss er schauen, wie er zurechtkommt.«
    »Meinst du, er wird verurteilt? Ich hab’s nicht richtig verfolgt.«
    Wieder ein Nicken. »Wird er.«
    Es war ein trauriger Moment. Das Leben hält traurige Momente bereit, und dies hier war einer von ihnen. Bob dachte an seinen Bruder mit seinen Maßanzügen und teuren Manschettenknöpfen, wie er am Ende jedes Prozesstages auf der Treppe vor dem Gerichtsgebäude in die Mikrofone gesprochen hatte. An den Triumph des Freispruchs. Und jetzt wanderte der Angeklagte nach all den Jahren womöglich, höchstwahrscheinlich doch ins Gefängnis, weil er leichtsinnig gewesen war, fahrlässig, renitent. Und sein Verteidiger, Jim Burgess, saß abgemagert und unrasiert in einer engen Wohnung mitten in der Pampa, und durch die Wände kroch widerlicher, süßsäuerlicher Knoblauchgestank …
    »Jim.«
    Sein Bruder zog die Brauen hoch, drückte seinen Joint in einem Aschenbecher aus und wickelte ihn sorgsam in sein kleines Tütchen, bevor er ihn wieder in der Hansaplast-Schachtel verwahrte.
    »Du darfst hier nicht bleiben.«
    Jim nickte.
    »Sag ihnen, dass du nicht bleiben kannst. Ich sag es ihnen.«
    Jim sagte: »Ich hab nachgedacht.«
    Bob wartete.
    »Und was mir klargeworden ist, so was von glasklar – und glaub mir, mir ist nicht vieles klar, aber diese eine Sache ist es: Ich habe nicht die entfernteste Ahnung, wie man sich in diesem Land als Schwarzer fühlt.«
    »Wie bitte?«
    »Ganz im Ernst. Und du hast genauso wenig Ahnung.«
    »Nein, wie denn auch? Mann! Hab ich das je behauptet? Hast du das je behauptet?«
    »Nein. Aber das ist nicht der Punkt.«
    »Was ist der Punkt, Jim?«
    Jim schaute verwirrt. »Weiß nicht mehr.« Dann beugte er sich mit einem Ruck vor. »Jetzt pass auf, mein Bruder aus Maine. Jetzt pass auf. Wenn dir jemand vorgestellt wird, dann sagst du nicht: Nett, Sie kennenzulernen. Das ist vulgär. Zu vertraulich, niveaulos.« Er lehnte sich wieder zurück. »Du musst sagen: Angenehm.« Jim nickte. »Das wusstest du nicht, oder?«
    »Nein.«
    »Das kommt, weil wir Dumpfbacken aus Maine sind. Die wirklich niveauvollen Menschen in diesem Land wissen, dass man ›Angenehm‹ sagt, wenn einem jemand vorgestellt wird. Und sie lachen über die Leute, die sagen: Nett, Sie kennenzulernen. Das habe ich an diesem College gelernt.«
    »Guter Gott, Jimmy«, sagte Bob. »Langsam machst du mir Angst.«
    »Deshalb erzähl ich’s dir ja.«
    Bob stand auf und trat an die Tür von Jims Schlafzimmer. Kleider lagen wild verstreut, die Kommodenschubladen standen offen, das Bettlaken lag zerknautscht auf der halbnackten Matratze. Bob drehte sich wieder um. »Wie viele Wochen sind es noch bis Semesterende?«
    Jim sah ihn mit seinen blutunterlaufenen Augen an. »Sieben.« Er lehnte den Oberkörper nach vorn. »Das mit der sexuellen Belästigung – das ist schlicht nicht wahr. Das mit dem Sex schon. Das stimmt. Aber es stimmt
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