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Das Leben, natürlich: Roman (German Edition)

Das Leben, natürlich: Roman (German Edition)

Titel: Das Leben, natürlich: Roman (German Edition)
Autoren: Elizabeth Strout
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Deborahs Mann William, der so nervös war, dass er sich als »Billiam« vorgestellt hatte. Die Kinder nannten ihn manchmal so, aber dann bat Helen sie, netter zu sein, weil Billiam seinerzeit in Vietnam gedient hatte und auch, weil seine Frau, Deborah-mit, eine furchtbare Nervensäge war und Helen sich vorstellte, dass es schrecklich sein musste, mit ihr zusammenzuleben. Nie konnte man in seinen Garten hinausgehen, ohne dass Deborah-mit in ihrem erschien, und innerhalb von zwei Minuten hatte sie einen darüber belehrt, dass die Stiefmütterchen, die man gerade pflanzte, auf dieser Seite des Gartens keine Chance hatten, dass die Lilien mehr Sonne brauchten, dass der Fliederbusch, den Helen einsetzte, eingehen würde (leider wahr), weil der Boden nicht kalkhaltig genug war.
    Debra-ohne dagegen war eine liebenswerte Frau, schlaksig und bemüht, eine Psychiaterin, leicht konfus in ihrer Art. Aber, und das war das Traurige: Ihr Mann betrog sie. Das hatte Helen entdeckt, als sie tagsüber allein zu Hause gewesen war und durch die Wand das haarsträubendste Lustgestöhne gehört hatte. Sie hatte durch das Dielenfenster hinausgespitzt, und da war Debras Mann zur Haustür herausgekommen, gefolgt von einer Frau mit lockigen Haaren. Später hatte sie die beiden zusammen in einer Bar ganz in der Nähe gesehen. Und einmal hatte sie Debra-ohne ihren Mann fragen hören: »Warum hackst du denn heute so auf mir rum?« Debra-ohne fehlte es also tatsächlich an Durchblick. Diese Dinge fand Helen immer ein bisschen problematisch am Stadtleben. Bei Basketballübertragungen brüllte Jim wie ein Irrer. »Du blöde Drecksau!«, brüllte er den Fernseher an, und Helen hatte jedes Mal Angst, die Nachbarn könnten denken, er meinte damit Helen. Sie hatte schon überlegt, ob sie es irgendwann mit einem Lachen ins Gespräch einflechten sollte, sich dann aber gesagt, dass man sich auf solch dünnes Eis besser nicht begab. Obwohl es ja nur die Wahrheit wäre.
    Trotzdem.
    Ihre Gedanken rasten und rasten. Was hatte sie zu packen vergessen? Es wäre zu dumm, wenn sie sich irgendwann fürs Essen mit den Anglins umzog und plötzlich feststellte, dass sie nicht die richtigen Schuhe dabeihatte – ihr ganzes Outfit wäre verdorben. Sie zog die Decke fester um sich; sie meinte Susans Anruf noch immer im Haus zu spüren, dunkel, gestaltlos, drohend. Sie setzte sich auf.
    Mit so etwas musste man rechnen, wenn man nicht schlafen konnte und einem das Bild eines tiefgefrorenen Schweinekopfs durch die Hirnwindungen spukte. Sie ging ins Bad und nahm eine Schlaftablette, und das Bad war sauber und vertraut. Wieder im Bett, rückte sie dicht an ihren Mann heran, und schon nach wenigen Minuten fühlte sie die Schläfrigkeit wie einen sanften Sog, und sie war so froh, dass sie nicht Deborah-mit oder Debra-ohne war, so froh, dass sie Helen Farber Burgess war, so froh, dass sie Kinder hatte und Freude am Leben …
    Aber am Morgen dann, welche Hektik!
    Bei all dem bunten Treiben, mit dem sich der Samstag in Park Slope anließ – Kinder mit Fußbällen in Netzen auf dem Weg zum Park, von ihren Vätern bei Grün über die Straßen gescheucht, junge Liebespaare, die in den Coffeeshops eintrudelten, die Haare noch nass vom Duschen, Leute, die für den Abend Essenseinladungen planten und auf dem Bauernmarkt auf der Grand Army Plaza am Ende des Parks nach den besten Äpfeln und Backwaren und Schnittblumen suchten, die Arme beladen mit Körben und papierumwickelten Sonnenblumen – , bei allem Trubel war man nicht gefeit vor Kümmernissen, wie sie überall im Land vorkamen, selbst in diesem Viertel, wo nahezu jeder seinen Platz in der Welt für genau den richtigen zu halten schien. Da war die Mutter, deren kleine Tochter sich so dringend eine Barbiepuppe wünschte, und die Mutter sagte, nein, die Barbiepuppen sind schuld, dass so viele Mädchen abgemagert und krank sind. Auf der Eighth Street versuchte ein Stiefvater verbissen, einem linkischen Jungen das Fahrradfahren beizubringen, hielt den Gepäckträger fest, während das Kind, bleich vor Angst, Schlangenlinien fuhr und auf ein Lob wartete. (Die Frau des Mannes bekam ihre letzte Chemotherapie gegen Brustkrebs, ihnen blieb nichts erspart.) In der Third Street stritt ein Paar darüber, ob sie ihren pubertierenden Sohn an diesem sonnigen Herbsttag aus seinem Zimmer scheuchen sollten oder nicht. Verstimmungen allerorten, und auch bei den Burgess lief nicht alles nach Plan.
    Das Auto, das Helen und Jim zum Flughafen bringen
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