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Das Leben nach dem Happy End

Das Leben nach dem Happy End

Titel: Das Leben nach dem Happy End
Autoren: Pia Juul
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Augen eine Weile. Als ich ein Teenager war, hatte meine Kusine geheiratet. Ich war sehr davon gefesselt gewesen und hatte alles in mich aufgesaugt, insbesondere die Rede meines Großvaters: »Lasst niemals die Sonne über eurem Zorn versinken«, gab er dem Paar mit auf den Weg. Ich fand, das klang schön und richtig, und entschied, dass es genau so sein sollte, wenn ich einmal heiratete. Doch meine Mutter wurde sehr wütend deshalb: »Er konnte es durchhalten, tagelang nicht mit Mutter zu sprechen, bei der noch so kleinsten Sache, mit der er unzufrieden war. Man versteht nur zu gut, warum sie sich vorzeitig sterben gelegt hat!« Und nun kehrte er mir schon seit zehn Jahren den Rücken. Ich verstand nie ganz, ob es wegen Abby war oder ob er einfach nur der Meinung war, man solle sich nicht scheiden lassen. Was auch immer dahintersteckte, als ich ein Kind war, hatte er mich wunderbar behandelt. Jetzt schrieb ich ihm Briefe, die er nicht beantwortete, und in den ersten Jahren hatte ich mich bei einigen Familienfesten neben ihn gesetzt. Er war aufgestanden und zum anderen Ende des Raumes gegangen. Ohne Abby war es auch nicht mehr sonderlich interessant, die Familie zu treffen, und die meisten wollten lieber Abby sehen als mich. Daran änderte sich nie etwas. Sie mieden mich, ich mied sie.
    Ich hatte absichtlich nicht darüber nachgedacht, was ich sagen würde, denn dann hätte ich gar nicht mehr mit ihm sprechen können, das wusste ich. Seine Stimme klang keineswegs krank oder geschwächt, er sagte: »Hallo?«
    »Opa, hier ist Bess«, sagte ich.
    »Danke, mein Mädchen«, sagte er.
    »Mutter sagte, du wolltest mich sprechen?«
    »Ja. Am liebsten würde ich dich ja sehen, also richtig.«
    »Ich würde dich gern besuchen«, sagte ich, »aber es sind einige Dinge vorgefallen … mit Halland … meinem Mann. Wie geht es dir?«
    »Nicht gut, mein Mädchen.«
    »Ich habe ein Bild von dir über meinem Bett hängen«, sagte ich. »Kannst du dich noch an das Foto mit dem Strohhut im Liegestuhl erinnern? Ich betrachte es jeden Abend.«
    »Ich bin so dumm gewesen, mein Mädchen«, sagte er. Mein Mädchen, das hatte er nie gesagt, als ich klein war. »Wir haben doch alle Abby so gern, es ist wohl deshalb so gekommen …«
    Jetzt klang er doch krank.
    »Ich bin einfach nur froh, deine Stimme zu hören«, sagte ich.
    »Ich bin Urgroßvater geworden!«, sagte er. »Hast du das gewusst?«
    »Ja, ja, ich habe die kleine Sofie schon gesehen!«, sagte ich.
    »Weißt du …« Er ächzte oder änderte seine Liegeposition, »wie viele Menschen bei dieser Geburt dabei waren?«
    Das wusste ich. Die Tochter meiner Kusine, die das Kind zur Welt brachte, ihr Mann, ihre Mutter und ihre Schwester.
    »Drei Zuschauer!« Er hustete. »Und hier liege ich! Ihr wohnt alle so weit weg, nicht auszuhalten ist das!«
    »Opa, sobald ich von hier weg kann, komme ich nach England!«
    »Ja, ja, mein Mädchen«, sagte er. »Leb wohl.«
    Es schepperte, als habe er den Hörer fallen lassen. Ich wartete und lauschte, die Verbindung war nicht unterbrochen, aber es geschah nichts mehr, ich konnte ihn nicht hören, nur ein leises Rauschen und vielleicht Schritte auf dem Gang. Dann legte ich auf. Weinte nicht. Sah das Telefon an. Sah aus dem Fenster hinaus auf den Fjord. Sollte es das gewesen sein?
    Ich könnte Halland anrufen und es ihm erzählen. Nein, konnte ich nicht. Doch, ich konnte ihn trotzdem anrufen. Wo war sein Handy, konnte ich es an irgendeinem Ort der Welt zum Klingeln bringen, in einem Gebüsch, einem Auto, in der Tasche eines Fremden, eines Mannes mit Jagdgewehr. Ich wählte die 1. Keine Verbindung.
    Jetzt musste ich nur darauf warten, dass Abby anrief. Ich konnte erneut meine Mutter anrufen, aber ich hatte keine Lust, mit ihr zu sprechen. Die Polizisten würden vielleicht zurückkehren, hatten sie gesagt. Und Halland. Ich ging in den Flur hinaus, um zu sehen, ob seine Tasche noch immer dort stand. Das tat sie, und die Jacke hing am Kleiderhaken. Warum war er ohne die Jacke, ohne die Mappe aus dem Haus gegangen? Sein großes Fernglas stand auf der Fensterbank im Wohnzimmer, ein Vogel hatte ihn also nicht hinausgelockt. Und an der Tür hatte es auch nicht geläutet, das hätte ich gehört. Ich steckte meine Hände in all seine Taschen, obwohl ich das bereits die Polizei hatte tun sehen. Sie waren leer. Ich bückte mich nach der Aktentasche und nahm sie mit nach oben. Dies war Hallands Reich, ich kam nicht oft her. Hier hatte er sein Büro, nebenan lag das,
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