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Das Leben nach dem Happy End

Das Leben nach dem Happy End

Titel: Das Leben nach dem Happy End
Autoren: Pia Juul
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wäre mir eine große Ehre, wenn Sie Zeit und Lust haben, mir einige wenige Worte zurückzuschreiben. Sie haben sicherlich Wichtigeres zu tun, und deshalb habe ich vollstes Verständnis dafür, wenn Sie es unterlassen, diese E-Mail zu beantworten .
    Normalerweise hätte ich das als rührend empfunden. Und es war noch nie vorgekommen, dass ich nicht geantwortet hatte, also begann ich sofort damit. Schaffte es noch, eine alte Antwort herauszusuchen, um sie umzuschreiben, als ich mitten in einer Handbewegung innehalten, die Hände sinken lassen, sie in meinen Schoß legen und die Augen schließen musste. In meinem Leben hatte ich schon oft vor einer Verabredung, einem Vortrag, einer Lesung oder einem Geschäftstreffen mit Schrecken gedacht: Was wäre, wenn Halland krank oder tot wäre, was, wenn ich mir ein Bein bräche, was, wenn Abby plötzlich auftauchte? Ich versuchte, Begebenheiten und Katastrophen zu steigern und unterzuordnen, wie schlimm müssten sie sein, um mich zu einer Absage zu bewegen? Jetzt war mein Mann tot. Und ich beantwortete gleichgültige E-Mails. Ich löschte sie beide, wohlwissend, dass man es wieder rückgängig machen konnte. Dann las ich die, deren Betreff HALLAND war, es waren etliche. Verfasst von meiner Kusine, meinem Verleger, von Kollegen, sogar entfernten. Sie waren bestürzt und voller Mitgefühl, meine Augen überflogen die Mails, damit ich das Gefühl hatte, sie gelesen zu haben, doch ich las sie nicht gründlich. Sie hatten den Ernst der Lage besser erkannt als ich, schneller als ich. Warum hatte niemand von ihnen angerufen? Ich nahm den Hörer des Telefons ab, um mich zu vergewissern, dass es funktionierte, es gab keinen Ton von sich. Ich legte einige Male hintereinander den Hörer auf und nahm ihn wieder ab, es schwieg. Plötzlich wurde es um mich herum kühl, ich fröstelte und überlegte, was zu tun sei – wie nach einem Unglück. Wo lag mein Handy? Ich zog an der Telefonschnur und sah den Stecker am Boden liegen. Ich hätte selbst anrufen und jemandem erzählen sollen, was geschehen war, doch ich wusste nicht, wen ich anrufen sollte. Eine Mail hatte den Betreff: ERINNERUNG. In einigen Wochen sollte ich in einer Bibliothek in Jütland einen Vortrag halten, sie schickten mir Anweisungen, wann und wo ich eintreffen sollte. Ob sie Radio gehört hatten? Ob sie wussten, dass mein Mann im Morgengrauen erschossen worden war? Wohl kaum. Es machte nichts. Ich wollte ihnen jetzt nicht antworten. Vielleicht sollte ich eine Abwesenheitsmitteilung einrichten, die lautete: Mein Mann wurde ermordet.
    Ich fuhr den Computer herunter und klappte ihn zu. Es war still. Hier hatte ich letzte Nacht gesessen und geschrieben. Was hatte ich geschrieben? Darüber wollte ich nicht nachdenken, nicht jetzt, vielleicht nie wieder, es war fern und mir gleichgültig geworden. Ich sah auf den Fjord hinaus, die Sonne glitzerte auf dem Wasser, es reflektierte blinkend und sprenkelnd das Licht.

4
    »Jeder läuft weg, wenn der Mensch geboren wird,
jeder läuft herbei, wenn er stirbt.«
    Essais , Montaigne
    Im Krankenhaus von Reading war man nicht im Geringsten daran interessiert, mich mit meinem Großvater zu verbinden. Während ich darauf wartete, und ich wartete lange, vom einen zum nächsten durchgestellt zu werden, überlegte ich, ob ich nicht innerhalb eines Tages nach England und wieder zurück reisen könnte, das war doch nicht unmöglich. Auch wenn Halland tot war, war es ja wohl kaum verboten, nach London zu fliegen. Ich versuchte, mir meinen Großvater vorzustellen. War er klein geworden wie so viele alte, und vor allem kranke, Menschen? Hatte er den wilden Blick, den ich häufig in den Augen derer gesehen hatte, die schwer krank waren und kurz darauf starben? Würde ich ihn umarmen können, würde er mich wiedererkennen, würde er die Kraft besitzen, mich auszuschimpfen, oder würde er mir verzeihen? Warum wollte er mich sehen? Weil er sterben würde. Aber: wollte er es mir oder sich zuliebe? Ich brachte den Mut überhaupt nicht auf, ihn zu besuchen. Schließlich war die Krankenschwester wieder in der Leitung.
    »Ich habe mit Julian gesprochen, und er würde gern mit Ihnen sprechen. Wir haben ein Telefon, das wir an sein Bett bringen können. Ich gebe Ihnen jetzt die Nummer, und Sie können ihn in zehn Minuten anrufen.«
    Ich war im Begriff aufzustehen, um nach Halland zu rufen, und setzte mich wieder hin, unangenehm berührt, als hätte mich jemand bei etwas Peinlichem beobachtet. Dann schloss ich die
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