Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Leben nach dem Happy End

Das Leben nach dem Happy End

Titel: Das Leben nach dem Happy End
Autoren: Pia Juul
Vom Netzwerk:
was wir als ›die Kammer‹ bezeichneten und wo unsere Gäste schliefen. Dahinter befand sich nur noch ein Dachboden mit Wäscheleinen und Gerümpel.
    Natürlich war ich schon einmal hier gewesen, doch ich wurde unruhig, als ich die Tür aufstieß. Ich wollte nur die Tasche an ihren Platz stellen, ich hatte nichts vor dort drinnen. Ich sah aus dem Giebelfenster und fröstelte. Wie ordentlich es doch auf seinem Schreibtisch war. Eine Klammer mit Quittungen, zwei Kugelschreiber, ein Kalender, das war alles.
    Über dem Tisch hing eine Fotografie. Ich hatte sie so oft gesehen, dass ich sie nicht mehr wahrnahm, jetzt hob ich sie von der Wand und wischte mit meinem Ärmel den Staub ab. Schwarzweiß, er und ich gemeinsam auf dem Weg zu einer Filmpremiere. Ein Pressefotograf hatte es aufgenommen, doch wir hatten nicht angehalten, um uns verewigen zu lassen, er hatte uns auf dem Weg an ihm vorbei eingefangen. Ich konnte gut verstehen, dass Halland es aufgehängt hatte, es war in unserem ersten Jahr, wir waren zaghaft glücklich, das sah man, oder ich konnte es jetzt sehen. Während seiner Krankheit bekam Halland vollkommen weiße Haare, doch hier waren sie nur grau gesprenkelt, davon abgesehen war seine lange Mähne schwarz. Seine Adlernase, ich zeichnete sie mit dem Zeigefinger nach, sein großer Mund. Er sah mich an, er war im Begriff, etwas zu mir zu sagen, das konnte ich an seinem Mund ablesen. Was sagten wir überhaupt zueinander, damals? Jemals? Ich konnte mich nicht an unsere Gespräche erinnern, weder an große noch an kleine, wünschten wir einander einen Guten Morgen, wenn wir aufwachten? Ja. Wir sagten Guten Morgen.

5
    »Warum hast du mich ›Wolkenreh‹ getauft?
Das hat doch keinen Sinn. Es klang schön, wenn du
es sagtest, aber es war doch eine Kinderei.«
    Wachtmeister Studers erste Fälle , Friedrich Glauser
    In jener Nacht im Hotel, als ich das Bett verließ, am Fenster eine Zigarette rauchte, hinaussah und in eine erleuchtete Wohnung hinein, in der jemand wohnte, Menschen, die einen Alltag hatten und trotzdem noch nicht schliefen, fällte ich eine Entscheidung, die ich nicht umsetzen konnte. Allein das Fällen einer Entscheidung vermittelt ein so gutes Gefühl, dass man davon zehren kann, mitunter auch längere Zeit, ohne sie jemals in die Tat umzusetzen. Ich hatte meine Jacke übergezogen, um nicht zu frieren. Jetzt wandte ich mich um und ließ sie fallen, tastete mich um das Bett herum zu dem Sessel, auf dem meine Kleider lagen. Das Licht der Straßenlaterne fiel auf seinen schnarchenden, schweren, nackten Körper, der diagonal im Bett lag. Ich zog mich an, griff meine Jacke und meine Schultertasche und schlich hinaus.
    In dieser Nacht vor zehn Jahren verließ ich ihn, doch es gelang mir, noch in derselben Nacht zurückzukehren, ohne dass er meine Abwesenheit bemerkt hatte. Er lag genauso da, wie ich ihn verlassen hatte, sturzbetrunken.
    Am nächsten Tag unternahmen wir einen Ausflug ans Meer. Wir spazierten stundenlang am Strand entlang, lagen im Sand und dösten, aßen im Freien, Meeresfrüchte in großen Mengen, der Wein war kühl, wir saßen in der Dämmerung unter einem Vordach, das Wasser schwappte, das Gespräch war gedämpft und zerstreut, am Ende kam es zum Erliegen. Im holpernden Bus zurück zum Hotel setzten wir uns in die letzte Reihe, wir waren so schweigsam, konnten nicht sprechen, schließlich legte ich meinen Kopf in seinen Schoß und weinte lautlos. Er strich mir über das Haar und sagte, ganz untypisch zärtlich: »Ich weiß genau, warum du weinst.«
    Diese zärtliche Bemerkung, die so ungewöhnlich für ihn war, war für mich letztlich einer der Gründe, bei ihm zu bleiben. Doch bereits während ich dort auf der Sitzbank lag, dachte ich, was ich seither immer dachte, wenn ich mich an diesen Ausflug erinnerte: »Nein, weißt du nicht, Halland.« Denn er wusste nicht, dass ich in der Nacht versucht hatte, meines Weges zu gehen und nach Hause zu fahren, er wusste nicht, dass ich über das Scheitern dieses Versuchs weinte, und er wusste auf keinen Fall, dass ich vor Sehnsucht nach meinem Kind weinte. Trotzdem tat mir die Zärtlichkeit seiner Stimme so gut, dass ich sie wie eine schöne Erinnerung hegte. Ohne diesen Satz zwischen uns hätte ich nicht behaupten können, einer großen Liebe zu folgen. Davon abgesehen wusste ich nicht, was er für die Ursache meines Weinens hielt. Ich fragte ihn nie direkt danach, denn ich fragte ihn eigentlich nie direkt nach etwas. Und die Vertrautheit
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher