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Das Leben nach dem Happy End

Das Leben nach dem Happy End

Titel: Das Leben nach dem Happy End
Autoren: Pia Juul
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Situation auf eine Weise auslegen konnte, die nicht zu meinem Vorteil gereichte. Und das lag an dem Buch. Ich sah es vor mir. Eine trauernde Frau konnte guten Gewissens am frühen Morgen auf einem Badesteg sitzen, ein ungetrübtes Bild der Trauer. Aber mit einem Buch?
    Ich steckte das Buch in die Tasche. Der Steg knirschte, ich saß seitlich zum Ufer und stützte mein Kinn auf den Knien ab. Aus dem Augenwinkel sah ich eine Gestalt näher kommen.
    Ich war einst – doch jetzt war diese Faszination ja lächerlich, geradezu unheimlich – von der Vorstellung betört gewesen, der Akt des Erdrosselns zeuge von Zärtlichkeit, der Schuss hingegen von Kälte. Damals hatte ich eine Novelle darüber schreiben wollen, doch daraus wurde nie etwas; als ich zur Tat schreiten wollte, verstand ich meine Begeisterung über den intimen Mord (Affekt/Erdrosseln) gegenüber dem wohlbedachten, fernen (kaltblütig/Ein Schuss) nicht mehr. Mord blieb Mord. Daran dachte ich, während die Gestalt sich näherte, und eine akute Übelkeit überkam mich, als ich mir vorstellte, wie sich zwei Hände um meinen Hals legten und zudrückten, und kurz darauf spürte ich, dass jemand von der Böschung mit einem Gewehr auf mich zielte.
    Ich sah erst auf, als er neben mir stehen blieb. Ich kannte ihn nicht.
    »Guten Morgen«, sagte er und ging die letzten Meter zum Ende des Stegs, wo eine Treppe ins Wasser hinabführte. Ich nickte nur und gab ein verzagtes Geräusch von mir. Er stopfte seine Pfeife und zündete sie an. Der süßliche Qualm hatte beschlossen, mich zu umhüllen, doch ich blieb sitzen. Jetzt zeigte sich die Sonne doch. Wenn ich diesen Mann gekannt oder irgendetwas über ihn gewusst hätte, beispielsweise, dass seine Frau am Tag zuvor gestorben war, was hätte ich darüber gedacht, dass er hier am frühen Morgen saß und seine Pfeife rauchte? Hätte es etwas bedeutet? Er stieß einen tiefen Seufzer aus, sodass ich mich beeilte, aufzustehen.
    »Wie schön es hier ist!«, sagte er.
    »Ja«, sagte ich und blickte auf den Fjord hinaus, als wolle ich nachsehen, ob er recht hatte. Er hatte mir den Rücken zugewandt. Ich entfernte mich, aber dann sagte er noch etwas, und ich wandte mich um, um es zu hören, verstand jedoch nur, dass er »Halland« sagte.
    »Was haben Sie gesagt?«, fragte ich.
    »Das mit Halland tut mir leid«, sagte er, noch immer mit dem Rücken zu mir.
    »Danke«, sagte ich und verließ den Steg mit hastigen Schritten. Es interessierte mich nicht, wer er war oder woher er mich kannte. Jetzt wandte ich ihm den Rücken zu. Am Ende der Böschung konnte ich die Gartenlaube sehen, weiß gestrichen und mit einem kleinen, albernen Wetterhahn auf dem Dach. Irgendwo zwitscherte eine Amsel. Ich stapfte den Pfad hinauf, es hätte ein ganz normaler Morgen sein können, an dem ich nach oben gehen und Kaffee kochen und Halland wecken würde. Es glich einem solchen Morgen. Als ich den Garten erreicht hatte, warf ich einen Blick zurück auf den Badesteg. Der Mann saß noch immer da, falls er Journalist war, gehörte er nicht zu der übereifrigen Sorte. Er saß in einer Wolke aus Pfeifenrauch, und ich hatte meine Zeitung vergessen, sie klebte auf den nassen Planken. Der Fjord war blank und blaugrau, an manchen Stellen glitzerte er. Es war ganz so, als sei ich nicht traurig.

7
    »Christian VI. hatte keine Konkubinen und führte keine Kriege.«
    Geschichte Dänemarks: Was geschah wann?
    Die Vorsicht gegenüber allem, was neu war. Die zögerliche Neugier, die ich besessen hatte, zunächst Halland gegenüber, dann dem Haus, in dem wir gemeinsam leben würden, dem Garten, der uns gehörte, doch ich zauderte. Diese Art des Erlebens, unter Vorbehalt. Der Kuckuck rief, und ich war beinahe erschrocken darüber. Ein Kuckuck sollte in der Ferne rufen, nicht auf einem Baum im eigenen Garten. Ich pflegte zu denken: Wie war das noch mit den Kuckucksrufen, der Tod … Lebensjahre. Auch jetzt, allerdings mit einer gewissen Erleichterung. Denn der Tod war ja bereits dagewesen. Oder rief der Kuckuck etwa für mich? Ganz frei von Furcht lauschte ich ihm trotzdem nicht. Diese zögerliche Vorsicht besaß ich auch jetzt, gegenüber der Tatsache, dass Halland tot war, und wie würde es später werden? Dass jemand Halland erschossen hatte, war noch unbegreiflicher. Ich versuchte nicht ernsthaft, es zu begreifen, schüttelte es eher von mir ab. Es glich einer Furcht, doch ängstlich war ich nicht. Jetzt würde auch mein Großvater sterben, ich hatte mich nach ihm
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