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Das Leben nach dem Happy End

Das Leben nach dem Happy End

Titel: Das Leben nach dem Happy End
Autoren: Pia Juul
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zwischen uns wurde nie größer als an jenem Abend, in der Schweigsamkeit, der Dunkelheit, in der wir aßen, und später im grellen Licht des Busses; mein Weinen, seine Hand und die Zärtlichkeit in seiner Stimme.

6
    »Er starb bei der Explosion eines Fernsehers
– speziell bis in den Tod.«
    Bekenntnisse eines Rechtsmediziners , Preben Geertinger
    Ich las begehren. In Wirklichkeit stand dort begehen. Jedes Mal, wenn ich zu lesen versuchte, stockte ich und geriet über meinen Verlesern ins Grübeln, oder ich dachte darüber nach, wie unglaublich es im Grunde genommen war, dass der Mensch lesen konnte, was meine Augen da taten, was mein Gehirn anstellte. Genau wie ich noch immer beim Radfahren schlingerte, sobald ich darüber nachdachte, wie ich eigentlich mein Gleichgewicht hielt, löste sich die Lektüre vor meinen Augen auf. Das passierte ausgerechnet mir, die das Lesen liebte. Mir, die immer Zuflucht im Lesen gesucht hatte, und wenn es nur das Etikett auf einer Flasche war. Lesen musste ich, um einen Gedanken zu zerstreuen, nicht plötzlich unbeschäftigt dazusitzen, weder in einem Zug, noch wenn ich aß oder eine Pause von etwas anderem brauchte. Vor dem Einschlafen las ich am liebsten bis zur letzten Sekunde. Wenn ich länger als zwei Minuten wach lag, nachdem ich das Licht ausgeknipst hatte, schaltete ich es sofort wieder ein. Nicht denken, nicht denken. Es war ein vollkommen neuer Gedanke, der mir an diesem Morgen im grauen Licht am Fjord kam. Am Tag nach dem Mord an Halland. Ich hatte nicht mehr als eine Stunde geschlafen, auf dem Sofa. Hatte versucht, einen Film zu sehen, versucht, ein Buch zum Lesen zu finden, was dazu führte, dass ich jeden einzelnen Buchrücken meiner Bibliothek gelesen hatte, ohne einen passenden Titel zu finden, es hatte über eine Stunde gedauert. All diese Bücher, die ich nur ihres Titels wegen gekauft hatte und die ich niemals alle lesen konnte, die Zeit war zu knapp. The Far Islands and Other Cold Places. Travel Essays of a Victorian Lady . Das musste ich unbedingt lesen. Ich wartete auf Abbys Anruf, doch der würde wohl kaum nachts kommen. Schließlich fand ich ein Buch, das mir allerdings auch nicht passend erschien, lediglich aufgrund seiner Größe, denn es fand in meiner Gesäßtasche Platz, und ich zog einen weiten Pullover an, band mir ein Tuch um den Kopf, klemmte eine Zeitung unter den Arm und ging hinaus. Es war fünf Uhr morgens, das Gras im Garten noch feucht. In der Gartenlaube war es zu kalt und ungemütlich, sodass ich die Böschung hinabging, die sich vom Garten bis zum Ufer neigte. Die Sonne hatte heute nicht vor, aufzugehen, das spürte ich in den Knochen. Und unten am Strand spürte ich etwas so deutlich in meinem Rücken, dass ich es nicht wagte, mich umzudrehen und nachzusehen, was es war. Wer beobachtete mich? Plötzlich fiel es mir schwer, die Beine zu bewegen, ohne linkisch zu wirken.
    Ich breitete die Zeitung auf dem Badesteg aus und setzte mich mit meinem Buch darauf. Als ich es aufschlug, bemerkte ich mit einem Mal, wie sehr ich auf dem Lesen beharrte, fand es komisch und tragisch zugleich und merkte, wie meine Mundwinkel zuckten. Doch ich las. Begehren statt begehen. Sah über das graue Wasser, das nach und nach Farbe annahm, mich schauderte. Dann wurde mir bewusst, dass ich mich selbst zur Schau stellte. Es war nicht das erste Mal, dass ich frühmorgens auf dem Steg gesessen und mir einen Augenblick, oder auch zwei, demonstrativ vorgekommen war, hatte es jedoch wieder vergessen und ignoriert. Schließlich war ich ja Schriftstellerin, und Halland hatte immer betont, wie überaus privilegiert man mit diesem Beruf sei. Je dümmer und andersartiger Schriftsteller sich aufführten, desto glücklicher reagierte die Umgebung. Teils, weil sich auf diese Weise ihre Vorurteile Schriftstellern gegenüber bestätigten, teils, weil sie Anstoß daran nehmen konnte. Denn es war anstößig, sich draußen hinzusetzen, hatte Halland mich belehrt, nicht etwa, weil das auch seine Meinung sei, sondern weil er wisse, was andere meinten. Wer sich in den Mittelpunkt stellt, hat es sich selbst zuzuschreiben, wenn andere mit dem Finger auf ihn zeigen. Doch diese Situation konnte Halland kaum vor Augen gehabt haben. Die Menge derjenigen, die diejenige sehen, die morgens um halb sechs auf einem Badesteg sitzt, ist begrenzt. Aber wenn ihr Mann doch gerade erst ermordet wurde? Ja, was dann? Ich wusste es nicht, es erschien mir nur falsch. Ich war mir sicher, dass man die
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