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Das Leben nach dem Happy End

Das Leben nach dem Happy End

Titel: Das Leben nach dem Happy End
Autoren: Pia Juul
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ich im Wald nicht ein Auto gesehen? Mein Lektor hatte mir einmal eine besorgte Frage gestellt, als er mein Manuskript korrigierte. Halland hatte einen Witz daraus gemacht, den er bei allen Gelegenheiten erzählte, egal, ob es passte oder nicht. »Ist mit noch mehr Flashbacks zu rechnen?« Ich wusste nicht, was Flashbacks waren, mittlerweile bestand mein Leben womöglich nur aus Flashbacks, zumindest jeden zweiten Moment. Zum Beispiel: Ich besuchte, so wie jetzt, eine öffentliche Toilette. Las auf dem Toilettenpapierspender: Tork. Sofort fielen mir die fünfhundert anderen Gelegenheiten ein, bei denen ich auf einer öffentlichen Toilette gesessen hatte und an Thorkild Hansens französischen Kosenamen denken musste. Mon Tork , hatte ich auf öffentlichen Toiletten unzählige Male zu mir selbst gesagt. Und dann hatte ich daran gedacht, dass ich nie jemandem von diesen Schildern erzählt hatte, die häufig auf Damentoiletten hingen, nun aber nach und nach verschwanden. Ein Witzbold war stets an denselben Orten gewesen wie ich und hatte Buchstaben übermalt und hinzugefügt, sodass dort nun stand: BITTE KEINE BLINDEN ODER DERG LEICHEN IN DIE TOILETTE WERFEN. Die öffentlichen Toiletten boten keinerlei Raum für neue Erlebnisse. Es blieben nur Flashbacks übrig.
    Aber jetzt wollte ich Bjørn von diesem Schild erzählen! Doch er war gegangen. »Er hat bezahlt«, rief Betina. »Möchten Sie Kaffee?« Ich nickte und setzte mich zu meinem leeren Teller. Im Hafen herrschte reges Treiben. Ich konnte den Seiteneingang des alten Lagerhauses sehen. Das erinnerte mich an etwas. Etwas, an das ich mich erinnern sollte, das ich aber vergessen hatte. Hatte ich Halland umgebracht? Konnte man das sagen? Hatte er es wirklich gesagt? Erschossen hatte ich ihn nicht, ich war nicht einmal in der Lage gewesen, eine Tür zu treffen, als ich in jungen Jahren versuchte, den Jagdschein zu machen. »Ich hatte gar nicht die Gelegenheit, mich mit ihm zu unterhalten«, sagte ich, als sie die Tasse vor mich stellte. »Es ist schön zu sehen, dass Sie ein bisschen rauskommen«, sagte sie. »Wie geht es Ihnen denn?« Was war das für eine Vertraulichkeit? Ich trank hier ab und zu Kaffee, aber wir hatten uns vorher nie über irgendwas Besonderes unterhalten. Beinahe hätte ich gut geantwortet, besann mich jedoch. Teils, weil es gelogen wäre, teils, weil diese Antwort für eine Witwe nicht passend gewesen wäre. Ich begnügte mich damit, mit den Schultern zu zucken. »Das kann ich gut verstehen!«, sagte sie.
    Ich hatte nie den Eindruck, dass die Worte, die Menschen zueinander sagten, eine besondere Auswirkung hatten auf das, was zwischen ihnen geschah. Ein einzelnes Wort konnte nicht alles ändern, konnte nicht wie ein Blitz in ein Gehirn einschlagen und jemanden auf die Spur eines Mörders bringen, konnte nicht so sehr verletzen, dass es fatale Folgen hatte. Liebe konnte nicht aufgrund eines einzigen Wortes sterben. Es folgte immer ein weiteres, das verschlimmerte oder vertiefte oder reparierte oder ablenkte. Doch auch dieses Wort gab nicht den Ausschlag, jedenfalls nicht den gewünschten. Zeitweise verlor ich die Lust, etwas zu sagen. Es fühlte sich einfach und unverbindlich an, es sein zu lassen, aber auch arm und beschränkt. Ich befand mich in einem engen Raum, der weder mein Körper noch mein Gehirn war, sondern etwas viel Kleineres. Meine Mutter besaß die Fähigkeit, etwas, das ich einmal gesagt hatte, so wiederzugeben, dass ich es deutlich wiedererkannte und gleichzeitig schon im Voraus aufgab, ihr zu erklären, wie falsch sie es verstanden hatte. »Aber du sagtest doch, du hättest Angst vor ihm!«, sagte sie über einen meiner Lehrer. Sie war hektisch, fast triumphierend und trug einen kurzen Augenblick lang ein Milchbärtchen, bis die Serviette kam. Es hätte nichts bewirkt, wenn ich die Geschichte noch einmal erzählt hätte, präziser oder auf eine andere Weise. Sie zog sich nur das heraus, was sie wollte. Und das ist nur ein Beispiel unter vielen. Ich erlebte es nie anders, auch nicht bei anderen. Und ich machte es genauso, wenn jemand mir etwas erzählte.
    Ich rief Pernille vom Handy aus an, nachdem ich zur Tür hereingetreten war und den Zettel mit ihrer Nummer aus der Tasche gezogen hatte. Ich stellte meine Frage, mit dem Rücken zur Eingangstür im Flur stehend und den Blick auf Hallands Jacke gerichtet. Erst schwieg sie. »Darauf habe ich dir bereits geantwortet«, sagte sie.
    »Aber er hat seinen Wohnsitz umgemeldet!«
    »Das
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