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Das Leben nach dem Happy End

Das Leben nach dem Happy End

Titel: Das Leben nach dem Happy End
Autoren: Pia Juul
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Gelegenheit genutzt hatte, um in letzter Sekunde einzusehen, dass die vertrauenswürdige Person, der er sich zwischendurch anvertraut hatte, in Wirklichkeit der Schurke war. Innerhalb kürzester Zeit gelang es dem Film, jemanden in Gefahr zu bringen und ein paar zusätzliche Morde zu servieren, bevor der grausame Missetäter etwas über die Übergriffe in seiner Kindheit oder seine krankhafte Eifersucht erzählen durfte. Nie wie im wirklichen Leben. Der Ausgangspunkt war mitunter noch wahrscheinlich, doch das verflüchtigte sich schnell. Ich war nicht an etwas beteiligt, was auch nur im Geringsten spannend war. Und noch etwas stimmte nicht. Der Krimi im Fernsehen war überschaubar und viel wirklicher als mein eigenes Leben, in dem mir ständig alles unwirklich und unüberschaubar vorkam. Ich überlegte, ob ich aus Gründen der Unüberschaubarkeit eine Liste erstellen sollte. Vielleicht konnten wir uns alle gemeinsam in der Bibliothek treffen, zum Schluss, wenn Funder seine Arbeit vollendet hatte.
    Ich lehnte mich mit einem Block auf den Knien im Sofa zurück, während auf dem Bildschirm der Krimi lief.
     
    Halland (tot)

Schuss

Rehe
    Peter Olsen (Gewehr)
    Pernille (Wohnung, Nachsendeantrag)
    Stine (im Wald)
    Brandt (weg)
    Es machte mich kein bisschen klüger. Es gelang mir nicht einmal, die wenigen Punkte überschaubarer zu gestalten. Auf die andere Hälfte des Blattes schrieb ich:
     
    Wäsche waschen

Einkaufen

Putzen
    Ansehen:

Die Briefe

Das Zimmer bei P
    Ich schob mich weiter zurück. Die Bewegung erinnerte meinen Körper an jenen frühen Morgen, an dem ich mich hier schlafen gelegt hatte, kurz bevor Halland erschossen wurde. Mit einer ungewohnten Zufriedenheit im Körper hatte ich mir vorgestellt, wie ich ihm vorlesen würde, was ich in der Nacht geschrieben hatte. Es war so lange her, seit ich das zum letzten Mal getan hatte, anfangs hatte ich ihm jedoch häufiger vorgelesen. Ich saß am Küchentisch und las eine Erzählung vor, während er Essen machte. Er musste das lustig gefunden haben, ich konnte mich erinnern, dass er manchmal laut gelacht hatte. Da hatte ich endlich erfolgreich ein neues Buch begonnen – und ausgerechnet dann musste er unbedingt sterben. Ich war wütend. Meine Wut war unangemessen, aber viel unangemessener war, dass ich einen Rachedurst verspürte. Nicht gegen den Mörder, dieser Gewehrschütze erschien mir viel zu abstrakt. Ich hatte eher das Gefühl, Halland umbringen zu wollen. Lag es an seinen Geheimnissen oder einfach nur daran, dass sein Tod mich daran hinderte, dieses Buch fertigzuschreiben? Ich war in meinem Leben schon oft von Rachedurst erfüllt gewesen, hatte ihn allerdings nie so sehr gestillt wie mein Großvater. Als ich erwachsen wurde, verdächtigte ich ihn, die Geschichte von jemand anderem gestohlen zu haben, doch als Kind konnte ich sie nicht oft genug hören. Mein Großvater war in der Schule unartig und hatte einen Lehrer, der ihn schlug. Er bekam viel Prügel, sowohl mit dem Rohrstock als auch mit der Hand. Niemand half ihm, denn es war ja nicht verboten, und außerdem war er kein einfaches Kind. Als er dreiundzwanzig Jahre alt und ein breitschultriger Maurer geworden war, traf er den Lehrer auf der Straße. Der Lehrer hatte freundlich gegrüßt, und das gehörte zur Rachsucht, die man selbst verspürte, wenn mein Großvater die Geschichte zum Besten gab. Er ahnte nicht einmal selbst, dass er etwas falsch gemacht hatte! Er lud Großvater zu einer Tasse Tee zu sich nach Hause ein, dieser Idiot! Und dort verpasste mein Großvater ihm schließlich eine Tracht Prügel als Dank für das Geschehene.
    Ich wollte die Geschichte wieder und wieder hören. Doch ich wagte nie zu fragen, wie der Lehrer aussah, nachdem Großvater gegangen war. Blutete er? Lag er am Boden? Weinte er? Hatte er sich etwas gebrochen? Starb er? Das gehörte nicht zur Geschichte dazu. Der Schock war die Rache. Ich sah die erschrockenen Augen des Lehrers vor mir, mehr nicht. Doch wen konnte ich jetzt verprügeln?
    Mein Blick fiel auf die Fensterbank. Dort stand Hallands Fernglas auf dem Vogelbuch, das ziemlich dick und zerschlissen war. Ich wusste, dass er eine Menge hineingeschrieben hatte, kleine Zeichen, die besagten, dass er diesen Vogel gesehen hatte – und wo, Daten, Orte, mitunter eine Notiz zu Gesang oder Bewegungen. Ich hatte gesehen, wie er Notizen gemacht hatte, ich hatte ihn über einen Vogel erzählen hören, ich hatte in die richtige Richtung geschaut, wenn er darauf gezeigt hatte.
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