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Das Leben kommt immer dazwischen: Stationen einer Reise

Das Leben kommt immer dazwischen: Stationen einer Reise

Titel: Das Leben kommt immer dazwischen: Stationen einer Reise
Autoren: Auma Obama
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möglich.
    Die Bezahlung des Brautpreises hat zur Folge, dass bei einer Trennung alle der Ehe entstammenden Kinder dem Mann gehören. Sie gehen sozusagen in seinen Besitz über. Und seine Frau darf nur nach Rückgabe des Brautpreises in ihre eigene Familie zurückkehren. Verlässt sie den Hof ihres Mannes, aus welchem Grund auch immer, dürfen ihre beim Vater wohnenden Kinder ihre Rückkehr verlangen. Meist übernimmt dies der älteste Sohn.
    Im Leben der Luo-Frau tritt mit ihrer Eheschließung eine weitere Veränderung ein. Infolge der strengen Sitten verliert sie nun ihren Platz in ihrer Ursprungsfamilie. Ein Brauch macht dies besonders deutlich: Bei den Luo ist es üblich, einen verstorbenen Angehörigen innerhalb des Hofes zu beerdigen. Eine verheiratete Frau, in Ausnahmefällen auch eine geschiedene Frau, die wieder auf dem Gehöft ihrer einstigen Familie lebt, darf nur außerhalb des Anwesens ihres Mannes bestattet werden. Denn sie gehört trotz Heimkehr nicht mehr zur Familie ihrer Eltern, sondern immer noch zu der ihres Mannes. Beide Familien sind mit dieser Tradition vertraut und halten sich daran.
     
    Als mein Bruder mit fünfzehn anfing, sich intensiv um die Rückkehr unserer leiblichen Mutter zu bemühen, war ihm all dies bekannt. Er wandte sich an ihre Verwandtschaft, um mit ihr in Kontakt zu treten.
    Eines Tages sprach mich eine Schulkameradin an und erklärte, sie sei mit mir verwandt, unsere Mütter seien Cousinen. Mir waren im Lauf der Jahre so viele nahe und ferne Verwandte vorgestellt worden, dass ich mir nichts Besonderes dabei dachte. Ab und an besuchten wir uns gegenseitig, bis meine Schulkameradin eines Tages aufgeregt zu mir lief und mich drängte, sie nach Hause zu begleiten. Ich fragte, was denn los sei, doch sie antwortete nur, ich müsse sofort mitkommen. Alles klang höchst geheimnisvoll.
    Da wir nicht weit voneinander entfernt lebten, waren wir in wenigen Minuten bei ihr. Sie führte mich ins Wohnzimmer, in dem viele Leute saßen. An der Tür blieb ich verunsichert stehen, da mir bis auf meine Tante alle Personen fremd waren. Meine Cousine aber schob mich von hinten in den Raum und ihre Mutter rief mir zu:
    »Komm doch rein, Kind. Wir haben eine Überraschung für dich!«
    Schüchtern betrat ich das Zimmer. Ich hatte immer noch nicht begriffen, um was es eigentlich ging.
    »Erkennst du sie denn nicht?«, fragte meine Tante aufgeregt.
    Wortlos schaute ich mich um.
    »Erkennst du denn deine Mutter nicht?«
    Verwirrt blickte ich noch einmal im Raum umher. Meine Mutter? Nein, ich erkannte niemanden.
    Eine Frau in der Runde schaute mich besonders eindringlich an. Verlegen begann ich zu lächeln. Da strahlte mich die Frau an, erhob sich und trat mit offenen Armen auf mich zu.
    »Mein Kleines, weißt du nicht mehr, wer ich bin?«
    »Hallo«, erwiderte ich unsicher und ging ihr entgegen. Was hätte ich auch sonst sagen sollen?
    Dass ich eine leibliche Mutter hatte, auch wenn sie in all den Jahren nicht an unserem Leben teilgenommen hatte, war mir bewusst. Manchmal, wenn ich besonders unglücklich war oder wenn ich ein belastendes Problem mit mir herumschleppte, stellte ich sie mir als gute Fee vor, die mich jeden Moment wegzaubern und aus allen Schwierigkeiten befreien würde. Im Grunde aber betrachtete ich sie nicht als Teil unserer Familie. Ich hatte die Tatsachen schon sehr früh so akzeptiert, wie sie waren. Meine Mutter stand deshalb für mich immer außerhalb unseres Lebens. Was geschehen würde, falls sie eines Tages zurückkehrte, darüber hatte ich mir nie ernsthafte Gedanken gemacht.
    Nun stand diese fremde Frau vor mir, und mir kam kein Wort über die Lippen. Und obwohl ich spürte, dass alle eine Reaktion von mir erwarteten – Aufgeregtheit, Freude, irgendeine Gefühlsäußerung –, blieb ich stumm.
    »Lasst sie doch«, rief meine Tante. »Seht ihr nicht, dass sie schüchtern ist?«
    Meine Mutter nahm mich bei der Hand und führte mich zu dem Stuhl neben ihrem eigenen. Danach füllte sich der Raum wieder mit Gesprächen. Tee und Saft wurden serviert und Kleinigkeiten zu essen aufgetischt.
    Ich saß weiterhin schweigend neben meiner Mutter, dankbar, dass sie aus ihrer Rückkehr in mein Leben keine dramatische Szene gemacht hatte. Verstohlen betrachtete ich sie von der Seite und hörte ihr zu, wie sie zwanglos und selbstbewusst mit ihren Verwandten plauderte und lachte. Und ich fragte mich, ob jetzt, wo sie wieder da war, endlich auch alles wieder gut werden würde.
    Die nächste
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