Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Leben kommt immer dazwischen: Stationen einer Reise

Das Leben kommt immer dazwischen: Stationen einer Reise

Titel: Das Leben kommt immer dazwischen: Stationen einer Reise
Autoren: Auma Obama
Vom Netzwerk:
vor, meinen Schmerz nicht zu zeigen. Aber es war nicht zu übersehen, dass ich litt.
    Seit meinem vierten Lebensjahr hatte ich mit Ruth zusammengelebt. Sie war die einzige Frau gewesen, die ich bewusst als Mutter erlebt hatte. Mein Vater hatte von Anfang an darauf bestanden, dass wir sie » mummy « nannten, und tatsächlich war sie für mich in den zurückliegenden neun Jahren zu einer Mutter geworden.
    Die Erinnerung an meine leibliche Mutter Kezia war größtenteils verblichen. Ich wusste nicht mehr, was ich empfunden hatte, als ich von ihr hatte Abschied nehmen müssen. Meinem Bruder und mir hatte man erzählt, mein Vater habe sehr bald, nachdem wir zu ihm und seiner neuen Frau Ruth gekommen waren, seine jüngere Schwester Zeituni zu uns geholt, damit sie auf uns aufpasste. Die Gewöhnung an die neue Mutter fiel uns schwer, und deshalb nahm man an, dass die Umstellung mit der uns vertrauten Tante schneller gehen würde.
    An Tante Zeitunis Anwesenheit kann ich mich noch gut erinnern. Sie war groß, äußerst hübsch, eine sehr präsente Erscheinung. Sie wusch uns, kämmte und flocht mir die Haare und verbrachte viel Zeit mit uns. Und oft musste sie sich schützend vor mich stellen, weil Abongo leicht in Wut geriet, wenn ich etwas tat, was ihm nicht passte.
    Meine leibliche Mutter kam anfangs regelmäßig zu uns nach Hause, um uns Kinder zu sehen, erinnern aber kann ich mich kaum noch daran. In meinem Gedächtnis sind nur die Süßigkeiten haften geblieben, die sie uns mitbrachte. Ihre Besuche dauerten nie lange, denn angeblich kam es regelmäßig zu Tränenausbrüchen, bis mein Vater schließlich weitere Treffen ablehnte. Ich war damals fünf oder sechs Jahre alt, und ich sollte Kezia erst als Dreizehnjährige wiedersehen.
    Auch meine Stiefmutter sah ich nach ihrem Fortgang bis auf ein einziges Mal – bei einer kurzen Begegnung in ihrem Haus – erst nach vielen Jahren wieder. Da war ich bereits erwachsen.
     
    Nachdem ich im Alter von dreizehn Jahren zum zweiten Mal das Verlassenwerden von einer Mutter zu bewältigen hatte, begann ich mich ernsthaft mit der Frage nach meiner Herkunft zu beschäftigen. Ich wollte wissen, wer ich wirklich war.
    Bis dahin hatte ich, abgesehen von regelmäßigen Besuchen auf dem Land bei Großmutter Sarah, unter dem beherrschenden Einfluss meiner Stiefmutter gestanden. In den frühen Kindheitsjahren war mir nicht wirklich bewusst gewesen, dass sie nicht meine richtige Mutter war, doch als ich älter wurde, blieb mir nichts anderes übrig, als diese Realität zu akzeptieren. Abgesehen von der unübersehbaren Tatsache, dass Ruth weiß und ich schwarz war, sprach sie auch ganz offen mit mir darüber, dass sie nicht meine leibliche Mutter sei, was auch erkläre, warum sie ihre eigenen Kinder manchmal anders behandele als Abongo und mich. Als die Trennung von meinem Vater bevorstand, versuchte sie mehrmals, mir den für sie unumgänglichen Schritt verständlich zu machen.
    Möglicherweise verdrängte ich damals alles, was mit meiner Mutter Kezia zu tun hatte, weil ich mir meine vertraute Welt bewahren wollte. Ich kannte ja nur meine Stiefmutter und unsere kleine Familie, und die sollte so bleiben wie sie war. Solange meine richtige Mutter fortblieb, so dachte ich damals, würde sich daran nichts ändern. Kein Wunder, dass mein Bruder, der sich noch gut an sie erinnern konnte, oft gereizt auf mich reagierte. Er betrachtete mich vermutlich als gemeine Verräterin.
    Er war es denn auch, der bald nach dem Weggang unserer Stiefmutter damit anfing, von der Rückkehr unserer leiblichen Mutter zu sprechen.
     
    Die Bemühungen meines Bruders sind am ehesten vor dem Hintergrund der Luo-Traditionen zu verstehen. In unserer Volksgruppe herrscht Polygamie, und dem Mann ist es gestattet, mehrere Frauen zu haben. Er darf, ohne sich scheiden lassen zu müssen, ein zweites, drittes oder gar viertes Mal heiraten. So waren auch mein Vater und meine Mutter Kezia, da sie traditionell geheiratet hatten, in den Augen der Kenianer, insbesondere der Luo, nicht geschieden. Zumal für die Luo nach der Übergabe des Brautpreises (meist eine bestimmte Anzahl von Rindern) und der Geburt von Kindern eine offizielle Scheidung in der Regel nicht mehr möglich ist. Selbst im Fall einer Trennung gilt das Paar weiterhin als verheiratet. Bleibt es allerdings kinderlos, so wird die Schuld daran häufig der Frau gegeben. In diesem Fall ist, wenn der Mann sich nicht einfach eine andere Frau nimmt, eine Scheidung
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher