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Das Leben kommt immer dazwischen: Stationen einer Reise

Das Leben kommt immer dazwischen: Stationen einer Reise

Titel: Das Leben kommt immer dazwischen: Stationen einer Reise
Autoren: Auma Obama
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für die erste Frau des ältesten Sohnes vorgesehenen Platz stand. Weitere Plätze waren reserviert für die übrigen Söhne meines Großvaters, die aber damals noch unverheiratet waren.
    Mein Großvater besaß viele Kühe, Ziegen und Schafe, die in einem Gehege gehalten wurden. Meine Großmutter Sarah versorgte das Federvieh, das allabendlich in seinen Stall im hinteren Teil der Kochhütte zurückgescheucht wurde.
    Auf dem Hof wuchsen zahlreiche Obstbäume, die alle von meinem Großvater gepflanzt worden waren und behutsam gepflegt wurden: Mango-, Papaya-, Guaven-, Orangen- und Avocadobäume. Sogar einen Apfelbaum, auf den er besonders stolz war, konnte er vorzeigen. Hier, im Westen Kenias, gedeihen Apfelbäume nur sehr schwer. Ihm aber war es gelungen, einen solchen Baum zu ziehen und von Zeit zu Zeit sogar einen Apfel zu ernten. Immer nur einen, denn trotz liebevoller Pflege reifte an dem etwas kümmerlichen Gewächs jedes Mal nur eine Frucht heran. Wir Kinder betrachteten diesen Apfel immer voller Neugier und mit sehnsüchtigem Verlangen. Ihn zu pflücken war uns strengstens verboten, und ein Zuwiderhandeln hätte mit Sicherheit eine Tracht Prügel bedeutet. Mein Großvater war ein sehr strenger Mann, der keinen Ungehorsam duldete. Daher wagten wir es auch nicht, diese verbotene Frucht nur anzurühren.
    Wer diesen einzigen Apfel schließlich essen durfte, weiß ich heute nicht mehr. Doch meine ich mich zu erinnern, dass auch ich einmal in den Genuss der begehrten Frucht kam. Ihr süßsaurer Geschmack ist mir jedenfalls im Gedächtnis haften geblieben.
     
    Knapp anderthalb Jahre nach der Abreise meines Vaters wurde meinem Großvater eines Tages ein Brief aus den Vereinigten Staaten überreicht. Von der Aufregung, die sein Eintreffen damals auslöste, hat meine Großmutter mir Jahre später ausführlich erzählt.
    Abgesehen von den Briefen, die meine Mutter in großen Abständen aus Übersee erhielt, bekam niemand aus der Familie Post aus dem fernen Amerika. Es war also verständlich, dass mein Großvater gleich das Schlimmste befürchtete. Warum sollte man ihm aus den USA schreiben, wenn nicht, um ihm zu berichten, dass seinem ältesten Sohn etwas zugestoßen war? Nach der Mitteilung, dass er auf Hawaii eingetroffen sei, hatte Barack seinem Vater keine Zeile mehr geschickt.
    Mein Großvater zögerte, den Umschlag zu öffnen. Die Familie hatte sich um ihn geschart, und alle schauten mit banger Sorge auf das Schreiben in seiner Hand, als handle es sich um eine Bombe, die beim Öffnen explodieren würde. Meine Mutter, ihre Jüngste (mich) auf dem Arm, hielt ängstlich den Atem an.
    Endlich faltete ihr Schwiegervater das Papier auseinander. Die Schrift war die seines Sohnes Barack. Erleichtert las mein Großvater die Zeilen – und sog scharf die Luft ein. Keiner wagte, eine Frage zu stellen, alle warteten stumm auf eine Erklärung.
    »Was denkt er sich bloß!«, rief er plötzlich. »Und was wird jetzt aus seinem Studium?«, fuhr er erregt fort.
    Meine Großmutter konnte nicht länger an sich halten und stellte die Frage, die allen auf den Nägeln brannte:
    »Was ist passiert?«
    »Dein Sohn will wieder heiraten!«
     
    Meine Mutter hatte mit dem Schlimmsten gerechnet. Jetzt atmete sie tief ein – ihr Mann war noch am Leben, aber im gleichen Augenblick starb etwas in ihrem Innern.
    Manchmal habe ich mir vorgestellt, wie sie bei den Worten meines Großvaters innerlich aufgeschrien haben muss. Und wie sie dennoch stumm blieb, weil sie ihre wahren Gefühle vor ihren Schwiegereltern nicht zu zeigen wagte. Denn die Botschaft, die der Brief enthielt, war nichts Ungewöhnliches. Da ein Luo-Mann mehrere Frauen haben darf, hätte es meiner Mutter nichts genützt, dagegen zu protestieren. Das wusste sie. Doch dass sie so rasch all das verlieren sollte, was sie und meinen Vater verband, traf sie wie ein fürchterlicher Schlag.
    Für meinen Großvater beinhaltete die Nachricht ein anderes Problem: Die neue Braut war keine Luo, nicht einmal Kenianerin. Sie war Amerikanerin, stammte also aus einem unbekannten Land mit fremden Sitten und Traditionen. Und sie war eine Weiße. Im Kolonialismus groß geworden, und nach den vielen Jahren im Dienst ihrer Herren konnte er sich einfach nicht vorstellen, wie eine solche Ehe gut gehen sollte.
    »Und sie ist auch noch schwanger«, ergänzte er nach einer Weile.
    Meine Mutter musste sich hinsetzen.
    »Ihr Vater besteht darauf, dass die beiden heiraten«, erklärte mein Großvater.
    »Barack
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