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Das Leben kleben

Das Leben kleben

Titel: Das Leben kleben
Autoren: Marina Lewycka
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»Sehen aus wie Zigeuner, nich wahr? Wollten die meine Einkäufe stehlen?«
    »Nein, sie haben ...«
    »Jetzt schieb endlich deinen Scheiß-Wagen weg, du alte Kuh«, bellte der Humvee-Fahrer aus seinem Fenster. »Wagen Sie nicht, so mit ihr zu reden, Sie Rüpel!«, zischte ich zurück.
    »Was hat er gesagt, Georgine?«
    »Ich glaube, er möchte, dass Sie Ihren Wagen zur Seite schieben, Mrs. Shapiro, damit er mit seinem Auto rauskommt. Aber lassen Sie sich ruhig Zeit.«
    Sie klimperte ihn mit ihren azurblauen Lidern an. »Tut mir leid, Darlink.«
    Auf ihren Stöckeln leicht schwankend manövrierte sie den Wagen auf den Bürgersteig und ging paffend in Richtung Chapel Market davon.
     

4 - Das Kleben ungleicher Materialien
    Als ich nach Hause kam, setzte ich Teewasser auf und rief meine Mutter an, um ihr von meinem Abenteuer mit dem Kinderwagen zu berichten. Ich wusste, sie würde genauso begeistert von Mrs. Shapiro sein wie ich. (Mein Vater dagegen hätte sich in erster Linie gefreut, dass ich mich auf die Seite einer schwachen alten Dame stellte.) Im Oktober war Mama dreiundsiebzig geworden und die Jahre lasteten schwer auf ihr. Ihre Augen wurden schlechter (»Mackeladegeneration«) und der Arzt hatte ihr geraten, nicht mehr Auto zu fahren. Mein Vater litt an Blasenschwäche. Ihr Sohn, mein Bruder Keir, seit fünf Jahren geschieden, zwei Söhne, die er fast nie sah, war im Irak. Und jetzt trennte ich mich von meinem Mann. In einem Alter, in dem meine Mutter dem rosigen Sonnenuntergang entgegensegeln sollte, schienen überall an ihrem Horizont Gewitter aufzuziehen. Um sie zu trösten, erzählte ich ihr von meinen Schnäppchen. »Chicken Korma, Mama. Von 2,99 auf 1,49 runtergesetzt.« »Großartig. Was sind Chickenkörner?«
    Meine Mutter ist nicht dumm, sie ist nur schwerhörig - meine Großmutter hatte während der Schwangerschaft die Masern gehabt. Papa und ich ziehen sie auf, weil sie sich weigert, ein Hörgerät zu tragen. (»Die Leute halten mich für eine Außerirdische, wenn ich mit Drähten in den Ohren rumlaufe.« In Kippax, wo ich herkomme, hat sie damit wahrscheinlich sogar recht.)
    »Chicken Korma. Das ist ein indisches Gericht. Ziemlich scharf und mit Sahne.«
    »Oje, deinem Vater würde das wahrscheinlich nicht schmecken.« Ihre Stimme klang flach und resigniert.
    Ich änderte meine Taktik.
    »Hast du in letzter Zeit ein gutes Buch gelesen, Mama?«
    Wenn sie in Stimmung war, waren Liebesromane ihr Lieblingsthema, ein heimliches Hobby, das ich mit ihr teilte. Mein Vater hatte mir mit sechzehn
Die Menschenfreunde in zerlumpten Hosen
geschenkt, den Klassiker der britischen Arbeiterklassenliteratur, und ich hatte so getan, als würde es mir gefallen, doch insgeheim langweilte und deprimierte es mich. Mama machte mich mit Georgette Heyer und Catherine Cookson bekannt, die ich zu verachten vorgab, doch insgeheim verschlang.
    »Stell dich immer auf die Seite der Schwachen«, hatte mein Vater gesagt.
    »Nichts ist besser als ein Happy End«, sagte meine Mutter.
    »Ich habe gerade
Türkise Versuchung
gelesen«, seufzte sie jetzt ins Telefon. »Aber es war Mist. Zu viel Gestöhne und zerrissene Schlüpfer.« Eine Pause. »Hast du was von Europides gehört?«
    Ich wusste, dass sie heimlich hoffte, wir würden uns wieder versöhnen. Ich hatte ihr nicht erzählt, dass er da gewesen war, um seine Sachen abzuholen.
    Als Rip und ich uns ineinander verliebten, hatte ich mir manchmal vorgestellt, wir wären die romantischen Figuren einer großen stürmischen Liebesgeschichte vor dem turbulenten Hintergrund des Bergarbeiterstreiks, die die Grenzen von Geld und Klassen überwanden, um zusammenzusein. Ich war seine Tür zu einer exotischen Welt, wo edle Wilde über den Sozialismus diskutierten, während sie einander in den Grubenwaschräumen den Rücken einseiften. Er war meine Tür zu Pemberley Hall und Mansfield Park. Wir waren so voller Illusionen übereinander, dass es vielleicht zwangsläufig in einem spritzenden Gemetzel enden musste.
     
    Nachdem Mama aufgelegt hatte, machte ich mir eine Tasse Tee und griff zum Stift.
     
    Das verspritzte Herz Kapitel 2
     
    Es war ein sonniger Oktobertag und Ripck war in Gedanken bei fleischlichen Freuden, als er mit seinem Mini-Porsche durch die
Midlands
Hügel
kroch
röhrte, die noch immer in prächtigen Herbstfarben leuchteten.
Ein paar Kilometer nach Leck
Nach ein paar Kilometern
...

(Sollte ich auch die Ortsnamen ändern? Ich versuchte mich an meinen Journalismus-Kurs bei der
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