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Das Leben in 38 Tagen

Das Leben in 38 Tagen

Titel: Das Leben in 38 Tagen
Autoren: Cornelia Scheidecker
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genossen
die Überbleibsel des Winters. Das Denkmal, das an den gefallenen Helden Roland
aus der Zeit Karls des Großen erinnern sollte, interessierte sie weniger, uns
übrigens auch nicht. Martin empfand auf einmal Frust, dass die Kinder fahren
durften und er nicht! Ich wollte ja laufen und bis jetzt lief es doch ganz gut!
    Nachdem
wir uns gestärkt und etwas erholt hatten, wagten wir uns an den Abstieg. Der
gelbe Pfeil führte uns wieder in den Wald und bald ging es auch an einem
Wildbach entlang, nur begleitete uns dieser jetzt in die gleiche Richtung,
nämlich nach Süden. Obwohl es ziemlich kühl und nass war, trafen wir auf ein
junges Pärchen, das es sich am Wegrand gemütlich gemacht hatte. Fröhlich
winkten wir ihnen unser „Buen camino“ zu; schließlich hatten wir ja nun schon
die Pyrenäen überquert, wovor ich einen Riesenrespekt gehabt hatte. Also allen
Grund zur Freude! Juhu!
    Nun
hatte ich auch wieder Luft zum Sprechen und Martin übte mit mir die spanischen
Zahlen von eins bis zehn: uno, dos, très ... Ich
wollte doch noch etwas lernen, bis mich mein Sohn in Pamplona verlassen würde.
Er hatte ja ein halbes Jahr in Madrid gelebt und war stolz, mir etwas
beibringen zu können. Überhaupt war es schön, mit ihm zu laufen. Wenn der Weg
nicht zu anstrengend war, unterhielten wir uns, aber wir konnten auch gut eine
Zeitlang jeder für sich laufen und unseren eigenen Gedanken nachhängen.

3.
Mit Pilgersegen geht es richtig los
     
    Nach
einer reichlichen Stunde sahen wir die dicken Klostermauern von Roncesvalles
durch die Bäume schimmern. Martin empfand nicht so ein gutes Gefühl bei dem
Gedanken, in einem Kloster schlafen zu müssen. Sein Verhältnis zur Kirche war
leider einseitig marxistisch geprägt. Obwohl wir unsere Kinder in den
katholischen Religionsunterricht geschickt hatten, wollten doch beide nichts
mit der Kirche zu tun haben. Dies lag natürlich hauptsächlich daran, dass wir
als Eltern auch nicht in die Kirche gegangen waren. Für uns war vor allein
Toleranz gegenüber Andersdenkenden wichtig, jede Art von Fanatismus lehnten wir
ab. Druck und Diktatur hatten wir in der ehemaligen DDR genug kennen gelernt.
Jeder sollte sich frei entscheiden können, wie er lebt, solange er keinem
anderen damit schadet. Die Kirche hat sich meiner Meinung nach mit ihrer
Intoleranz gegenüber anderen Religionen und Nichtgläubigen selbst geschadet.
Sie könnte ein Vorbild und ein Ziel für viele Sinnsuchende sein, wenn sie
offener mit ihrer Geschichte umgehen und die wirkliche Lehre von Jesus Christus
leben würde.
    Der
Weg sollte für mich auch eine Möglichkeit bedeuten, vielleicht einen anderen
Zugang zu Gott zu finden. Wer weiß! Roncesvalles bestand nur aus einem riesigen
mittelalterlichen Klosterkomplex und zwei Gaststätten, in denen man auch
übernachten konnte, wie damals Hape Kerkeling. Es gab
keine Einkaufsmöglichkeit und im Kloster sollte schon um 6.00 Uhr geweckt
werden. Ich überredete Martin, uns die Unterkunft erst einmal anzusehen, denn
er wäre lieber gleich weiter bis zum nächsten Ort gelaufen. Das Kloster spannte
sich in drei Etagen viereckig um einen riesigen Innenhof. Die Fenster waren
klein und durch einen langen Torbogen konnte man zur angrenzenden Kirche
gelangen. Ich fand es unheimlich interessant, in einem Kloster zu schlafen.
Außerdem wollte ich gern den berühmten abendlichen Pilgersegen am Beginn meiner
Reise erhalten. Ich wollte alles tun, um es bis Santiago zu schaffen, und da
gehört doch ein Pilgersegen dazu, oder?
    Wir
gingen also erst einmal zur Anmeldung und siehe da, eine freundliche Spanierin
(kein Mönch!) erklärte Martin, dass es kein offizielles Wecken gab und dass wir
uns alles erst mal ansehen könnten. Ich empfand das als sehr angenehm; wie in
einem alten Krankenhaus, aber ohne Desinfektionsgeruch. Schön warm, was für
mich immer sehr wichtig ist, sauber und eine gedämpfte Ruhe in den Räumen. Die
Zimmer waren groß, drei Mal zwanzig Betten auf zwei Etagen, aber mit
Einbauschränken und genügend Abstellmöglichkeit. Die Wäsche hing über den
Heizungen, in den Fenstern und auf den Betten. Die Duschräume und Toiletten
waren nach Männern und Frauen getrennt. Ich fand es toll im Vergleich zur
letzten Herberge und auch Martin ließ sich überzeugen.
    Es
waren erst wenige Pilger angekommen und so hatten wir die sauberen Sanitärräume
für uns und fanden noch Platz für unsere Wäsche. Draußen hatte es mittlerweile
angefangen, in Strömen zu regnen, und wir
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