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Das Leben einer anderen: Roman (German Edition)

Das Leben einer anderen: Roman (German Edition)

Titel: Das Leben einer anderen: Roman (German Edition)
Autoren: Joyce Maynard
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während eines Hurrikans gezeugt wurde. Oder gleich danach.
    »Lass das doch, Edwin«, pflegte meine Mutter zu erwidern, wenn sie diese Bemerkung hörte. Meine Mutter, Connie, war der Ansicht, dass man über alles, was mit Sex oder den Folgen von Sex zu tun hatte (in diesem Fall meine Geburt oder zumindest die Vorstellung, dass meine Geburt mit dem Geschlechtsakt zusammenhing), nicht sprechen sollte.
    Aber wenn sie nicht in der Nähe war, erzählte mein Vater mir von diesem Unwetter – wie man ihn gerufen hatte, damit er einen umgestürzten Baum von der Straße holte, wie der Sturm getobt hatte und wie der Regen herabgeprasselt war. »Ich war nicht in Frankreich im Krieg wie meine Brüder«, sagte er, »aber es kam mir vor, als würde ich in einer Schlacht kämpfen, inmitten dieser Böen, die mit hundertzwanzig Sachen angefegt kamen«, berichtete er. »Und weißt du, was komisch ist? Wenn man am meisten um sein Leben fürchtet – dann spürt man auch am meisten, dass man lebendig ist.«
    Er beschrieb, wie er wegen der Sturzfluten die Straße nicht erkennen konnte und wie sein Herz wild hämmerte, als er blindlings durch die Dunkelheit fuhr – und wie er dann im strömenden Regen völlig durchnässt den Baum zersägte und ihm die Arme zitterten, als er die schweren Äste an den Straßenrand zerrte und dabei im Schlamm einsank.
    »Der Sturm klang irgendwie menschlich«, sagte er, »wie das Stöhnen einer Frau.«
    Als ich später daran zurückdachte, wie mein Vater diese Geschichte erzählte, fiel mir auf, dass er das Unwetter mit Worten schilderte, die man auch für den Liebesakt benutzte. Er ahmte den Wind für mich nach, und ich schmiegte mich an seine Brust, damit er mich in seinen starken Armen halten konnte. Allein beim Gedanken an jene Nacht begann ich zu zittern.
    Niemand außer mir hörte ihm bei dieser Geschichte zu. Aber dafür gab es vielleicht einen guten Grund. Ich sei sein Hurrikanmädchen, sagte er. Hätte es dieses Unwetter nicht gegeben, erklärte er mir immer wieder, dann gäbe es auch mich nicht.
    Neun Monate nach dem Hurrikan, fast auf den Tag genau, kam ich auf die Welt, im Kreißsaal des Bellersville Hospital – um die Mittagszeit am Jahrestag unserer Nation, kurz nach der ersten Heuernte und zur besten Reifezeit der Erdbeeren.
    Und dann gab es noch diesen anderen Teil der Geschichte, den ich in- und auswendig kannte, weil ich ihn so oft gehört hatte: Obwohl unsere Stadt so klein war – man konnte diese Hand voll Farmen mitsamt einer Schule, einem Gemischtwarenladen und einem Postamt kaum als Stadt bezeichnen –, war ich nicht das einzige Kind, das an diesem Tag im Bellersville Hospital geboren wurde. Keine zwei Stunden nach mir kam ein weiteres Mädchen auf die Welt. Dana Dickerson. Und an dieser Stelle der Geschichte schaltete sich dann immer meine Mutter ein, wenn sie gerade in der Nähe war.
    »Deine Geburtstagsschwester«, pflegte sie zu sagen. »Ihr beide habt gemeinsam das Licht der Welt erblickt. Es liegt nahe, dass da eine Verbindung besteht.«
    Dabei hätten unsere Familien – die Dickersons und die Planks – kaum unterschiedlicher sein können. Schon allein von unserer Herkunft.
    Die Farm, auf der wir lebten, war seit dem sechzehnten Jahrhundert in der Familie meines Vaters weitervererbt worden. Damals hatte einer unserer Ahnen, ein früher Siedler namens Reginald Plank, der mit einem der ersten Schiffe aus England gekommen war, bei einem Kartenspiel zwanzig Morgen Land gewonnen. Seit damals hatten zehn Generationen von Planks diese Felder bearbeitet, und jeder dieser Männer hatte das Anwesen vergrößert, indem er Nachbarfarmen aufkaufte, sobald weniger beherzte Männer das harte Leben eines Farmers aufgaben.
    Mein Vater war ältester Sohn eines ältesten Sohnes. Auf diese Art war das Land über alle Generationen weitergegeben worden und bestand nun aus zweihundertzwanzig Morgen, von denen vierzig bewirtschaftet wurden. Wir bauten hauptsächlich Mais an und einige andere Feldfrüchte – wie unsere Erdbeeren, die der ganze Stolz meines Vaters waren und die wir im Sommer an unserem Stand an der Scheune verkauften.
    Reich waren wir nie, aber unser Land war hypothekenfrei, und schon als Kinder wussten wir, dass dies für einen Farmer das Wichtigste war, außer (hier meldete sich wieder meine Mutter zu Wort) der Kirche. (Und unsere Familie hatte Ansehen in der Stadt, weil nicht nur die Großeltern und Urgroßeltern meines Vaters in der Erde von New Hampshire begraben lagen,
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