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Das Leben des Jean Paul Friedrich Richter: Eine Biographie (German Edition)

Das Leben des Jean Paul Friedrich Richter: Eine Biographie (German Edition)

Titel: Das Leben des Jean Paul Friedrich Richter: Eine Biographie (German Edition)
Autoren: Günter de Bruyn
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werden, der sich durch die »Beweglichkeit der Zunge oder des Rückens« Vorteile erschleicht.
    Statt sich in der Anpassung an die verachtete Welt der Reichen zu üben, provozierte er sie durch auffallende Kleidung, trug deshalb sein Hemd auf der Brust offen und entledigte sich des bei Männern üblichen Zopfes, womit er freilich in der freien Stadtluft Leipzigs weniger provokant wirkte als in seiner ländlichen Heimat, in der die Tradition der alten Kleiderordnungen noch tiefer verwurzelt war. Denn um Rang und Stand auch äußerlich deutlich zu machen, waren Jahrhunderte hindurch Verordnungen über die Kleidung der einzelnen Stände erlassen worden, damit der Edelmann sich vom Landmann, der Kaufmann sich von seinem Gesinde auch schon äußerlich unterschied. Als 1789 in Mecklenburg zum letzten Mal in Deutschland eine Verordnung über die Kleidung erlassen wurde, war sie überall sonst schon abgeschafft worden, aber als sittliche Verpflichtung galt sie auf dem Lande lange noch fort. Sich nicht seinem Stand gemäß zu kleiden, war nicht mehr verboten, aber es gehörte sich nicht.
    Der Lehrer und Freund Pfarrer Vogel, mit dem Richter viel korrespondierte, hielt das Provozieren durch Kleidung für töricht, beeindruckte damit aber nicht. Als er in einer Reihe von Gegenargumenten auch die Sprichworte »Unter den Wölfen muss man mitheulen« und »Schwimm nicht gegen den Strom« anführte, konnte Richter mit der Gegenfrage kommen, ob denn die Forderung, mit den Wölfen zu heulen, auch bedeute, mit ihnen auf Raub auszugehen. Gegen den Strom müsse er schwimmen, um sich selbst zu bewahren, und da er kein Amt brauche, sondern nur wie Diogenes eine Tonne, in der er arbeiten könne, komme es ihm auf die Meinung der Umwelt nicht an. Als sich in Leipzig jemand bei seinem Hauswirt über die unanständige Kleidung des Studenten beschwerte, sprach aus seiner Antwort: »Sie verachten meinen geringen Namen, aber merken Sie ihn auch« , ein starkes Selbstbewusstsein, das sich noch stärker äußerte, als seine Mutter von ihrer Hoffnung, ihn einst als Prediger in Hof erleben zu können, schrieb. »Fast musste ich lachen« , antwortete er ihr, »da Sie mir den erbaulichen Antrag tun, mich in Hof in der Spitalkirche z.B. vor alten Weibern und armen Schülern mit einer erbaulichen Predigt hören zu lassen. Denken Sie denn, es ist soviel Ehre zu predigen? Diese Ehre kann jeder miserable Student erhalten, und eine Predigt kann einer im Traume machen. Ein Buch zu machen ist doch wohl zehnmal schwerer.« Und im nächsten Brief musste die Mutter des Theologiestudenten voller Enttäuschung lesen: »Ich verachte die Geistlichen nicht – allein ich verachte auch die Leineweber nicht und mag doch keiner werden.«
    Richters Studium der Theologie war schnell zu einem allgemeinen geworden, in dem die Philosophie im Vordergrund stand. Mehr als Apostelgeschichte und Exegese hörte er Metaphysik, Logik und Ästhetik, zeigte für Trigonometrie Interesse, und um die Aufklärer aus Frankreich und England lesen zu können, machte er sich mit deren Sprachen besser vertraut. Mehr als in Hörsälen saß er in seiner Stube und las. Nur einer der Professoren konnte ihn begeistern, der Mediziner, Anthropologe und Philosoph Ernst Platner nämlich, ein ausgezeichneter Redner, der als Philosoph aber mehr Aphoristiker als Systematiker war. Seine Ästhetik-Vorlesungen, die nie gedruckt wurden, aber später durch Mitschriften eines Studenten bekannt wurden, scheinen nicht ohne Einfluss auf Richter gewesen zu sein. Eindruck machte ihm aber auch die Tatsache, dass der eigenständige Platner oft Ärger mit dem Konsistorium in Dresden hatte, das den sächsischen Hochschulen vorgesetzt war. Natürlich bezichtigte man Platner nicht des selbständigen Denkens, sondern der Religionsfeindschaft und des Materialismus, was Richter unsinnig fand. »Doch es war ein Konsistorium, und dieses hat recht, mit mehr Ehre dumm und mit mehr Heiligkeit boshaft zu sein, als andere Menschen« , vertraute er Pfarrer Vogel an.
    Dass auch andere Studenten von Platner begeistert waren, wird aus Karamsins »Briefen eines russischen Reisenden« deutlich, der den Professor als »langen, hageren Mann von ungefähr vierzig Jahren, mit durchdringendem Blick, einer gelehrten Miene und erhabenem Anstand« beschreibt. »Heute morgen wohnte ich den ästhetischen Vorlesungen Platners bei« , erzählt Karamsin weiter. »Ein großer Saal war so vollgestopft mit Zuhörern, dass kein Apfel zur Erde fallen
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