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Das Land des letzten Orakels

Titel: Das Land des letzten Orakels
Autoren: David Whitley
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dass sie immer noch benommen von ihrer beider Flucht war. Theo zog die Stirn noch tiefer in Falten, nickte jedoch verständnisvoll. Lauds Gesichtsausdruck hingegen straffte sich, und er kniff die Lippen zusammen.
    »Und wahrscheinlich glauben Sie auch noch, wir fallen darauf herein, nicht wahr?«, unterbrach er Mark abrupt.
    »Ich weiß, es klingt … ziemlich unglaubwürdig …«, stammelte Mark.
    Doch Laud unterbrach ihn erneut. »Das ist alles vollkommen lächerlich!«, höhnte er verächtlich. »Erwarten Sie ernsthaft von uns zu glauben, alles, was wir über die Welt wissen, wäre eine Lüge? Dass es so etwas wie einen lebenden Alptraum gäbe, der vor den Stadtmauern lauert?«
    »Aber ja, natürlich«, erwiderte Mark mit vor Zorn gerötetem Gesicht. »Vielleicht sollten Sie die Frau nebenan fragen, die sich ihren Lebensunterhalt damit verdient, die Gefühle anderer Menschen abzufüllen! Aus welchem Grund sollte ich Sie belügen, Laud?«
    »Oh, das weiß ich nicht. Vielleicht, weil Sie nicht wollen, dass wir die wichtigste Frage überhaupt stellen«, sagte er finster. »Erzählen Sie uns, Mark, was ist mit Lily geschehen?«
    Mark erstarrte. Lily hatte ihm so viel über den Tempel, ihr Almosenhaus, erzählt, dass er fast vergessen hatte, dass er diese Menschen hier kaum kannte. Nicht mehr kannte. Er hatte zwar mit Theo und Laud gearbeitet, aber im Grunde genommen waren es Lilys Freunde, und nun war er ohne sie zurückgekehrt.
    »Ich …« Seine Kehle wurde trocken. »Ich weiß es nicht. Der Direktor – das heißt der alte Direktor – hat ihr erzählt, ihre Eltern würden irgendwo dort draußen leben. In Giseth. Sie hat ständig nach Hinweisen Ausschau gehalten. Am Ende hat uns der Zirkel der Schatten gelehrt, wie man den Alptraum dazu benutzen konnte, sie zu finden.«
    »Der gleiche Alptraum, der sich von den dunklen Gefühlen der Menschen genährt hat?«, ätzte Laud. »Das hört sich ja nach einem grandiosen Plan an.«
    »Aber es hat funktioniert!«, protestierte Mark. »Der Alptraum nährt sich nicht bloß – er verbindet auch die Erinnerungen der Menschen … oder so ähnlich. Um ehrlich zu sein, habe ich es nie so recht begriffen. Aber wir beide sind gemeinsam in ihn hinein und haben herausgefunden, dass Lilys Vater in der Kathedrale der Verlorenen lebt, der Hochburg der Mönche, und wir hatten uns schon dafür gerüstet, dorthin zu gehen, als …«
    Schweigen umgab ihn. Niemand schien willens, es auszufüllen.
    »Als die Mönche mich entführt und zurück nach Agora gebracht haben«, erklärte Mark leise. »Nach Cherubinas Worten sieht es so aus, als wäre dies eines der ersten Dinge gewesen, die Snutworth arrangiert hat, als er neuer Direktor wurde.«
    »Er hat erlaubt, dass ich alle meine Puppen behalten darf«, fügte Cherubina sanft hinzu. »Außer der einen, die ich nach deinem Abbild gefertigt hatte, Mark. Ich glaube, du stellst für ihn eine größere Bedrohung dar, als er zugeben möchte.«
    Erneut herrschte Schweigen. Laud stand auf und ging auf und ab. Theo blieb grübelnd sitzen.
    »Also lebt sie«, sagte Theo schließlich. »Das ist immerhin etwas. Diese lange Zeit, ohne etwas von ihr zu hören …«
    »Ohne etwas zu hören!«, unterbrach ihn Laud mit jähem Zorn. »Und was haben wir gehört? Dass sie irgendwo außerhalb der Stadt ist und ihre Eltern sucht? Von schlechten Träumen gequält oder von psychotischen Mönchen verfolgt! Das ist ja ein großer Trost.«
    »Sie kann selbst auf sich aufpassen«, sagte Mark kleinlaut. »Wie dem auch sei, es ist nicht so, als gäbe es keine Möglichkeit, sie zu finden. Wenn die Mönche es geschafft haben, mich nach Agora zurückzubringen, dann muss es auch andere geben, die wissen, wie man die Stadtmauern überwinden kann …«
    »Viel Glück«, knurrte Laud bitter. »Wenn Ihnen jeder zweite Eintreiber auf den Fersen ist, werden Sie keinen Fuß nach draußen setzen können. Lily braucht mehr Hilfe als nur die Ihre …«
    »Ich werde sie finden!«, sagte Mark grimmiger, als er es selbst erwartet hatte. »Es ist mir egal, wenn ich nur mitten in der Nacht hinausgehen kann und durch jedes Gebäude in Agora kriechen muss. Selbst wenn ich in das Direktorium selbst einbrechen muss. Irgendwer muss wissen, wo sie ist. Sie hat mich nicht im Stich gelassen, und ich werde sie auch nicht aufgeben!«
    Mark wurde sich bewusst, dass er die Fäuste geballt hatte. Laud blinzelte. Zum ersten Mal schien er um Worte verlegen zu sein.
    »Nun«, sagte er schließlich leise.
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