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Das Land des letzten Orakels

Titel: Das Land des letzten Orakels
Autoren: David Whitley
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»Ich bin froh … das zu hören.«
    Schweigen. Mark war überrascht, wie heftig seine Reaktion ausgefallen war. Lauds Ton war ihm mehr an die Nieren gegangen als alles andere. Bis jetzt war es seine erste Sorge gewesen, wie er den Eintreibern entkommen konnte. Doch stets hatte er sich dabei gefragt, was wohl mit Lily geschehen war. Bei Laud hatte es so geklungen, als wäre ihm das egal.
    »Wir müssen alle suchen«, sagte Theo, das Kommando übernehmend. »Aber eins nach dem anderen – keiner von uns wird von großer Hilfe sein, wenn wir eingesperrt werden, weil wir Flüchtige beherbergt haben.«
    »Sind Sie absolut sicher, dass die Eintreiber heute Abend nicht noch mal zurückkommen?«, fragte Cherubina besorgt. »Ich glaube nicht, dass ich es schaffen würde, vor dem Schlafengehen noch einmal durch die ganze Stadt zu gehen.«
    Theo dachte einen Moment nach. »Heute Abend werden Sie in Sicherheit sein, aber viel länger sollten wir Sie nicht beherbergen«, beschloss er. »Ich werde mich umhören, ob Ihnen jemand Räume überlassen kann, ohne dabei groß Fragen zu stellen. Vielleicht können die Sozinhos helfen – sie sind immerhin unsere treusten Förderer. Ich werde nach zwei verschiedenen Orten fragen, um zu versuchen, die Eintreiber in die Irre zu führen.«
    Cherubinas Augen weiteten sich. »Aber … das können Sie nicht tun. Ich … ich kann nicht … Das ist …«
    »Sie hat noch nie für sich allein gelebt, Theo«, erklärte Mark. »Sie hat noch nicht einmal um Essen gehandelt. Es wäre offensichtlich, dass sie nicht dorthin gehört.«
    Theo nickte. »Also gut, dann werden wir den Ort sorgfältig aussuchen müssen …«
    Cherubina lächelte zu Mark hinüber. »Danke«, sagte sie leise.
    »So einfach wirst du mich nicht los«, sagte Mark und spürte, dass er sich nach all seiner Sorge ein wenig entspannte. Cherubina machte den Eindruck, als wolle sie etwas erwidern. Doch in diesem Moment öffnete sich am oberen Treppenabsatz mit knarrendem Geräusch die Tür. Alle blickten mit banger Miene hinauf.
    »Ben! Da bist du ja«, sagte Theo besorgt. »Was hast du draußen auf den Straßen getan? An jeder Ecke stehen doch Eintreiber …«
    Theos Stimme erstarb. Mark spürte, dass sein Herz einen Satz machte. Ben stand dort oben und lächelte erregt, doch sie war nicht allein.
    Ein stämmiger Mann stand neben ihr in der Tür. Er war zwar nicht alt, doch jeder einzelne seiner vierzig Sommer hatte Falten in seinem Gesicht hinterlassen. Sein Haar war grau meliert, und seine Hände zitterten, doch in seinen Augen blitzte ein Hoffnungsfunke, der sich zu Freude auswuchs, als er Mark erblickte.
    »Dad?«, fragte Mark ungläubig.
    Der Gefängniswärter stieg die Stufen hinunter. Unwillkürlich machten ihm die anderen Platz. Mark stand auf.
    »Ich wusste, dass du nach Hause kommen würdest«, sagte Pete. »Aber als Miss Benedicta zu mir kam, konnte ich … ich konnte es nicht glauben …«
    Petes Stimme brach. Mark lächelte. Er wollte etwas sagen, doch ihm kam kein Wort über die Lippen.
    Er war gefangen in einer Stadt, die er nicht mehr liebte, weit weg von einer Freundin, die ihn dringend brauchte. Er wurde von den Eintreibern gejagt und wusste nicht, wohin er sich wenden oder was er tun sollte, damit nicht seine ganze Welt auseinanderbrach. Doch einen Moment lang spielte all das keine Rolle, weil sein Vater ihn umarmte. Der Vater, den er verloren, wiedergefunden und erneut verloren hatte.
    Und dieses Mal würde er nirgendwo mehr hingehen.

KAPITEL 3
    Flüchtige
    »Woher kommst du?«
    »Wie ist es dort?«
    »Scheint dort die Sonne?«
    Lily versuchte sich zu konzentrieren. Die beiden Fremden hörten gar nicht mehr damit auf, sie mit Fragen zu bombardieren. Ihre großen Augen schauten so neugierig, dass sie wie kleine Kinder wirkten, auch wenn sie ein paar Jahre älter als Lily zu sein schienen.
    Zumindest ging sie davon aus, dass sie Erwachsene waren. Immerhin war die Stimme des Mannes tief genug dafür, doch ihre Haut war blass und absolut glatt, ohne Falten oder Makel. Auch ihre Kleidung war wie die von Kindern. Ihre Gewänder hingen locker, waren grell bunt gefärbt und aus breiten Streifen mit sich beißenden Farben. Sie hatten langes, wirres, fast weißblondes Haar, und wenn sie plapperten, rissen sie ihre dunklen Augen erschreckend weit auf. Doch das Verblüffendste an ihnen war, wie ähnlich sie einander in ihren Bewegungen und Verhaltensweisen waren. Hätte Lily nicht beide von ihnen reden gehört, wäre sie in
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