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Das Land des letzten Orakels

Titel: Das Land des letzten Orakels
Autoren: David Whitley
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Gesicht spüren. Das war unerträglich.
    »Gehen wir«, murmelte sie, während ihre Wangen erröteten.
    Sie setzten ihren Weg fort. Septima versuchte sich zu entspannen, doch das Grollen der Kakophonie machte sie nervös. Der Fels über ihr schien von dem Geräusch zu erbeben, als könne er jeden Moment zerbersten und sie unter dem schrecklichen Geräusch begraben.
    Dann hob Tertius plötzlich die Hand und unterbrach mit dieser abrupten Geste ihre Gedankengänge.
    »Wir sind da«, flüsterte er.
    Blinzelnd schaute sie in die Ferne. Direkt vor ihnen, am Eingang eines kleineren Stollens, konnte sie etwas auf dem Boden erkennen. Es sah aus wie ein Berg Kleider. Enttäuscht rümpfte sie die Nase.
    »Sieht in meinen Augen nicht wirklich nach einem Wunder aus«, sagte sie zweifelnd.
    Doch als sie näher kamen, konnte sie es besser erkennen. Nein … das war kein Kleid … das war …
    »Aber das kann doch nicht sein!« Sie rang nach Luft. »Ist das eine aus dem Chor? Es muss …«
    »Wer denn?«, fragte er triumphierend. »Hast du ihr Gesicht schon einmal gesehen?«
    Sie schaute hinab. Ein Mädchen von vielleicht fünfzehn Jahren lag zusammengerollt vor den Füßen ihres Gefährten. Ihr langes schwarzes Haar war offen und fiel ihr in Strähnen über das Gesicht. Auch ihre Haut war dunkel und hob sich von ihrem schmutzig-weißen Wollkleid ab, das voller getrocknetem, abblätterndem Schlamm war.
    Septima hatte sie noch nie in ihrem Leben gesehen. Und das war erstaunlich.
    »Ist sie … eine aus dem Orchester?«, fragte sie atemlos, so aufgeregt, dass sie vergaß, dass sie nicht damit an der Reihe war, Fragen zu stellen.
    »Es gibt nur eine Möglichkeit, es herauszufinden«, sagte er.
    Langsam streckte er einen Fuß aus. Septima spürte, wie ihr der Atem stockte.
    »Das kannst du nicht tun!«
    Mit einem Ausdruck grimmiger Entschlossenheit blickte er zu ihr auf.
    »Aufgepasst.«
    Er stupste die Gestalt mit der Spitze seines Stiefels an. Septima kreischte vor Begeisterung und Angst. Er war erstaunlich; er brachte alles fertig.
    Die Gestalt stöhnte auf. Beide machten einen Satz zurück. Septima hätte schreien wollen, doch ihr Kreischen von vorhin hallte bereits überall in der Felskammer wider, und sie wollte es nicht noch weiter verstärken. Die Wächter könnten sie sonst hören und ihnen ihr Wunder streitig machen.
    Deshalb schaute sie verblüfft zu, wie das Mädchen eine Hand hob und sich das Haar aus dem Gesicht strich.
    »Was … ich … wo?«
    Mit geweiteten Augen blickte das Mädchen zu ihnen beiden auf.
    »Wo bin ich?«
    Septimas Gedanken rasten, während sie versuchte, auf die richtige Antwort zu kommen. Stellte dieses Wunder, dieses Mädchen, wahrhaftig eine Frage, ohne zuvor Wissen anzubieten?
    »Erinnerst du dich nicht?«, fragte sie vorsichtig, nachdem sie beschlossen hatte, dass die einzig angemessene Antwort eine Gegenfrage war.
    Offenbar brachte sie das Mädchen damit aus dem Konzept. Es setzte sich aufrecht hin.
    »Ich erinnere mich an … die Stufen«, begann sie. »So viele Stufen. Es ging immer weiter hinunter. Und an die Dunkelheit. Und dann … riefen Stimmen … meinen Namen. Sie wurden lauter, immer lauter …«
    Tertius hätte fast die Laterne fallen lassen. »Du bist durch die Kakophonie gegangen?«, fragte er, sämtliche Regeln brechend. »Wie ist das gewesen? Woher kommst du?«
    Septima wandte sich ihm zu und starrte ihn erstaunt an. Sie hatten keinesfalls das Recht, solche Fragen zu stellen. Noch nicht.
    »Fangen wir mit etwas Einfachem an«, sagte sie und wandte sich dem Mädchen zu. »Sag uns, wie sollen wir dich nennen?«
    Das Mädchen schüttelte einen Moment den Kopf, als wolle sie ihre Gedanken ordnen. »Ich bin … Lily. Mein Name ist Lily«, sagte sie. Nun zuversichtlicher wirkend erhob sie sich. »Mein Name ist Lilith d’Annain, aus der Stadt Agora. Und jetzt verratet mir«, fuhr sie fort, während sie Septima furchtlos in die Augen blickte. »Wo bin ich?«

KAPITEL 2
    Die Wiedervereinigung
    Mark zog sich die schmutzige Decke bis unter die Nase und hoffte, dass er so nicht entdeckt werden würde.
    Es würde nicht mehr lange dauern. Schon jetzt merkte er, dass die Inspektorin die Gesichter der Schuldner weniger aufmerksam musterte. Mark vermutete, dass sie noch nicht häufig einen Blick auf die armen Teufel auf der Straße geworfen hatte und der Anblick eingefallener, krank aussehender Gesichter seinen Tribut forderte. Obwohl Inspektorin Poleyn, wie die meisten Eintreiber, zweifelsohne
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