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Das Land des letzten Orakels

Titel: Das Land des letzten Orakels
Autoren: David Whitley
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mich nicht erinnern, diese hier schon einmal gesehen zu haben«, murmelte sie und zog die Decke beiseite. Die junge Frau schaute zu ihr auf. Aus seinem Blickwinkel konnte Mark nicht erkennen, ob Cherubina weiterhin so tat, als wäre sie eine Schuldnerin. »Vielleicht sollte ich sie einmal näher untersuchen.«
    »Tun Sie sich keinen Zwang an, Inspektorin«, sagte Theo, bemüht, dabei unbeteiligt zu klingen. »Ich bin mir sicher, dass ihre Blattern nicht mehr akut ansteckend sind.«
    Poleyn riss ihre Hand zurück, und Mark musste ein Lachen unterdrücken.
    Im Nachhinein erwies sich dies als schlechte Idee. Poleyns Aufmerksamkeit richtete sich prompt auf die Stelle, an der er sich verbarg.
    »Ihnen ist natürlich klar, dass es ein schwerwiegendes Verbrechen ist, Kriminellen Unterschlupf zu gewähren, Doktor«, erklärte sie, während sie auf Marks Versteck zutrottete. Hastig zog dieser sich wieder die Decke über den Kopf, doch er vernahm trotzdem Poleyns feste und entschlossene Stimme. »Der Direktor hat beschlossen, dass es Zeit dafür ist, härter durchzugreifen. Zu viele Menschen setzen sich über den Arm des Gesetzes hinweg. Dieser Raufbold Crede ist wie eine faule Stelle im Apfel, und wir haben nicht die Absicht, den ganzen Apfel verfaulen zu lassen.«
    Mittlerweile hatte sie sich über Mark gebeugt. Dieser konnte sie sogar riechen – es war ein sauberer Geruch, fast wie desinfiziert, ganz im Gegensatz zum Rest des Kellers. Mark verkroch sich unter der Decke, während seine Gedanken rasten, bemüht, auf etwas zu kommen, das sie von ihm ablenken würde. Sie hatten es doch fast schon geschafft …
    »Inspektorin, ich würde wirklich nicht …«, begann Theo, doch Poleyn unterbrach ihn.
    »Ich habe jetzt genug davon, Doktor. Endgültig genug. Es wird Zeit, diese kindischen Spielchen zu beenden. Sicher wird der Direktor eine Menge Fragen haben …«
    Endlich hatte Mark einen Geistesblitz. Er riss die Decke zurück und umklammerte stöhnend Poleyns Revers.
    »Holen Sie mich hier raus!«, kreischte er, bemüht, so fiebrig wie möglich zu klingen, während er mit den Händen, überzogen mit schuppiger Haut, über das Gesicht der Inspektorin fuhr. »Die behandeln mich hier nicht richtig, das sage ich Ihnen!« Er verdrehte die Augen und legte die Lippen dicht an Poleyns Ohr, während diese versuchte, sich ihm zu entziehen. »Helfen Sie mir? Sie helfen mir doch, oder? Werden Sie mich vor der Behandlung bewahren? Hier sind alle hinter mir her, alle!«
    Poleyn hob ihren Schlagstock, und Mark ließ sich wimmernd wieder fallen und igelte sich ein, konzentrierte sich jedoch vollkommen darauf, wie Theo die erschrockene Eintreiberin beruhigte.
    »Nun, ich hatte Sie gewarnt«, sagte Theo mit spürbarer Erleichterung. »Dieser arme junge Mann hat seinen Verstand mehr oder minder verloren, fürchte ich.«
    Sorgsam darauf bedacht, nach wie vor seine Rolle zu spielen, spähte Mark erneut über den Rand seiner Decke. Theo tauchte gerade einen Lappen in eine Holzschüssel mit Wasser und bot ihn der Inspektorin an. »Er ist in einem fürchterlichen Zustand. Ein schrecklicher Fall. An Ihrer Stelle würde ich mich an den Stellen waschen, an denen er Sie berührt hat, damit Sie keine Symptome entwickeln …«
    Bemüht, ihre Würde zu wahren, nahm Poleyn den Lappen und wischte sich das Gesicht ab. Dieses Mal lachte Mark nicht. Trotz ihrer Abneigung gegenüber den Schuldnern, so hatte Theo ihn gewarnt, war Poleyn eine tüchtige Ermittlerin. Wenn sie der Meinung war, dass ihre Beute sich hier aufhielt, würde sie beim nächsten Mal mit einer ganzen Streife zurückkehren. Die Eintreiber taten alle nur ihre Arbeit, mussten sich aber gegenüber dem Direktor verantworten.
    Und wenn der Direktor ihn in die Hände bekam, würde Mark nicht einmal das Recht auf einen fairen Prozess haben, denn was das Gesetz anging, existierte er gar nicht.
    »Nun, ich denke, das sind alle gegenwärtigen Patienten«, sagte Theo mit besänftigender Stimme. »Wenn Sie natürlich bis heute Abend warten möchten, werden sich bestimmt noch eine Menge mehr einfinden. Es sieht nach Regen aus, und meine Assistentin Benedicta hat vor, einen hervorragenden Eintopf zu kochen. Dieses Mal dürfte sogar erkennbar Fleisch darin sein, wenn Sie uns also Gesellschaft leisten möchten …«
    »Das wird nicht nötig sein«, sagte Poleyn, während sie sich mit angewiderter Miene das Revers glattstrich. »Im Moment scheinen sich die Flüchtigen hier nicht aufzuhalten. Aber es werden
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