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Das Land der lebenden Toten

Das Land der lebenden Toten

Titel: Das Land der lebenden Toten
Autoren: Robert Silverberg
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den Riesen zu, reckte ihm in einer seltsamen Geste beide Hände entgegen – war es eine Geste der Unterwerfung? – und murmelte: »Lord Conan? Großer König, bist du es? Conan? Conan?« Und vor den verblüfften Augen Lovecrafts fiel Howard neben dem verröchelnden Her auf die Knie und schaute bestürzt und irgendwie gleichzeitig hingerissen zu dem gewaltigen Jäger empor.

2
    D IE J AGD an diesem Tag war bisher recht befriedigend gewesen. Drei Tiere nach langer erfüllender Pirsch erlegt; jeder Schuß gut plaziert; jede Beute waidgerecht ausgenommen und gehäutet, das Fleisch als Köder für andere Dämonenbestien ausgelegt, Decke und Schädel sorgsam seitab versteckt, um sie bei Einbruch der Nacht regelgerecht zu säubern. Ein so gut getanes Werk brachte doch wahrlich echtes Vergnügen.
    Und dennoch war in dem allem eine Leere, und er blieb freudlos und bleischwer, wie sauber auch seine Pfeile getroffen hatten. Er erlebte die wahre Erfüllung nicht mehr, dieses saubere Gefühl der Vollendung, die Lust an der Leistung, die letzten Endes alles waren, was er erstrebte.
    Wie kam dies? War es – wie manche von den christlichen Toten so trostlos behaupteten –, weil die Nachwelt die ›Hölle‹ war, ein Ort der Bestrafung, an dem es per definitionem keine Freude geben konnte?
    Für Gilgamesch war so etwas reine Torheit. Manche Bereiche der Nachwelt waren höchst widerwärtig, gewiß. Viele sogar. Es gab hier Höllisches, das ließ sich nicht bestreiten. Aber zweifellos konnte man auch hier seinen Spaß finden.
    Er nahm an, daß das von den eigenen Erwartungen abhängen müsse. Wer hierher kam und damit rechnete, ewige Bestrafung zu finden, der bekam tatsächlich seine ewige Strafe, und die war dann sogar noch weit scheußlicher als alles, was diese Leute sich vorher ausgedacht hatten. Und es geschah ihnen nur recht, diesen Wahren Gläubigen, diesen verführbaren Spät-Toten, diesem Heer von leichtgläubigen Christianern.
    Er war erstaunt gewesen, als diese Leute erstmals in Herden in die Nachwelt hereingetrampelt kamen, nur Enki wußte, vor wievielen tausend Jahren das war. Und was die für Unsinn schwatzten! Ströme von siedendem Öl! Seen voller Pech! Dämonen mit Mistgabeln! Das erwarteten diese Leute sich hier, und es gab hier auch clevere Leute, die bereit und willens waren, ihnen zu besorgen, was sie sich erwarteten. Also wurden Folterstädte für jene errichtet, die so etwas haben wollten. Es fiel Gilgamesch schwer zu verstehen, wie jemand sich so etwas wünschen konnte. Keiner unter den Früh-Toten konnte richtig schlau werden aus ihnen, diesen absurden Spät-Toten mit ihrem krankhaften Bestrafungswahn. Wie nannte Imhotep sie? Masochisten, ja, das war das Wort. Bemitleidenswerte Masochisten. Aber dann hatte der kleine schlaue Aristoteles bescheiden seine Einwände angebracht und gesagt: »Nein, Herr, es würde eine Verletzung der Naturgesetze der Nachwelt sein, einen echten Masochisten in die Folter zu senden. Dahin gehen nur die Starken, die Unterdrücker, die Angeber, jene, die in ihrem Innersten Feiglinge sind.« Und dann mußte auch noch Belsazar seinen Senf dazugeben, und dann Tiberius und diese palästinensische Hexe Dalilah mit ihren verwirrenden Augen, und dann hatten alle gleichzeitig durcheinander losgeplappert und einen Sinn in dem Verhalten dieser Später Toten Christianer zu finden versucht. Bis Gilgamesch schließlich – ehe er einfach aus dem Zimmer ging – sagte: »Das Ärgerliche an euch allen ist, daß ihr dauernd weiter versucht, einen Sinn herauszufinden, den dieser Ort hier haben soll. Aber wenn ihr erst einmal so lange hier sein werdet wie ich…«
    Schön, vielleicht war ja hier eine Strafkolonie. Es stand außer Frage, daß einiges hier recht unangenehm war. Das Klima war stets scheußlich, zu heiß oder zu kalt, zu naß oder zu trocken. Das Essen war selten zufriedenstellend, und der Wein war dünn und gewöhnlich sauer. Wenn du auf deinem Bett ein Weib umarmtest, konntest du im allgemeinen den ganzen Tag und die ganze Nacht lang herumpumpen, ohne dabei ein besonderes Vergnügen zu finden, jedenfalls nicht die lustige, lustvolle Freude, wie er sie aus uralter Zeit in Erinnerung hatte. Aber er neigte dann immer zu der Überzeugung, daß dies nur die beiläufigen Folgeerscheinungen des Totseins waren: Immerhin, dieser Ort hier war ja nicht das Land der Lebenden, und es wäre unsinnig gewesen zu erwarten, daß hier alles so sein sollte wie damals drüben.
    Auf jeden Fall hatte sich
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