Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Land der lebenden Toten

Das Land der lebenden Toten

Titel: Das Land der lebenden Toten
Autoren: Robert Silverberg
Vom Netzwerk:
Armbanduhren leisteten, besaßen keine Möglichkeit der genauen Zeitbestimmung in der Nachwelt, über der das rötliche niemals schlafende Sonnenauge willkürlich kreisend über den Himmel zog – und nun war Gilgamesch weit fort von Caesar und all seinen Gehilfen, weit weg von Nova Roma, der lästig turbulenten Hauptstadt der Nachwelt, weit fort von den lächerlichen Querelen solcher Leute wie Caesar und Bismarck und Cromwell und diesem kleinen Dreckskerl Lenin, die sich an diesem Ort um die Macht stritten. Er war mitten unter diesen Leuten gelandet, weil – er konnte sich kaum noch erinnern, weshalb – weil er einem von denen begegnet war, oder Enkidu war einem begegnet, und fast ohne zu merken, was passierte, waren sie da hineingezogen und in die Intrigen und Gegenintrigen verwickelt worden, in ihre Träume von einem Reich, der erhofften Revolution, dem Umsturz und Umbruch und der Umgestaltung. Bis es ihn schließlich gelangweilt hatte, wie töricht diese Leute waren, und er sich von ihnen entfernt hatte, für immer. Wie lange her war das? Ein Jahr? Ein Jahrhundert? Er wußte es nicht.
    Sollten sie doch soviel herummanövrieren, wie es ihnen Spaß machte, diese langweiligen Neulinge aus den jüngeren aufgeblähten Spätzeiten. Ihr ganzes Tun und Treiben war hohl, leer und eitel, aber sie erkannten es nicht. Doch eines Tages mochten sie lernen, was Weisheit ist, und war nicht dies der Zweck dieses Ortes, sofern er überhaupt einen Zweck erfüllte?
    Gilgamesch zog es jedenfalls vor, sich aus dem Mittelpunkt des Kampfplatzes zu entfernen. Das Streben nach Macht ödete ihn an. Das hatte er lange schon hinter sich gelassen, hatte es zurückgelassen in jener anderen Welt, in der seine erste fleischliche Existenz empfangen worden und zu Staub und Asche geworden war. Und anders als die übrigen gestürzten Potentaten, die Kaiser und Könige und Pharaonen und Schahs, verspürte er keinerlei Verlangen danach, die Nachwelt nach seinem Wunsch und Bild neuzugestalten, oder hier die Pracht und den Glanz zurückzugewinnen, die er einst gekannt hatte. Caesar irrte sich, was Gilgameschs Ehrgeiz und Herrschaftsstreben betraf, ebenso wie er in der Beurteilung seiner Jagdausrüstung falsch lag. Hier draußen, in dem kahlen, vertrockneten, kalten Hinterland der Nachwelt, hoffte er, Gilgamesch, nur seinen Frieden zu finden, sonst nichts. Einst hatte er sehr viel mehr gewünscht, doch das war lange her und an einem ganz ‘ anderen Ort.
    In dem dürren Unterholz bewegte sich etwas.
    Vielleicht ein Löwe?
    Nein, sagte er sich. In der Nachwelt gab es keine Löwen mehr, nur diese fremdartigen Unterwelttiere, von Dämonen gezeugt, in Alpträumen gelaicht, die in den toten Zonen zwischen den Städten lauerten – scheußliche behaarte Wesen mit flachen Nasen, zahlreichen Beinen und trüben bösartigen Augen und glatte schimmernde Geschöpfe mit den Gesichtern von Weibern und den Körpern mißgebildeter Hunde, und Schlimmeres, viel Übleres noch. Manche besaßen schlaffe lederartige Schwingen, und manche waren mit stacheligen Schwänzen bewehrt, die emporragten wie die von Skorpionen, und manche hatten Mäuler, die so groß waren, daß sie einen ganzen Elefanten auf einmal verschlingen konnten. Gilgamesch wußte, sie alle waren Dämonen der einen oder der anderen Art. Doch das spielte keine Rolle. Jagd war Jagd, die Beute war die Beute, und auf dem weiten Kampffeld der Bewährung waren alle gleich. Und das würde dieser Geck von einem Caesar niemals auch nur ahnen.
    Gilgamesch zog einen Pfeil aus seinem Köcher, setzte ihn sacht an den Bogen und wartete.
     
     
    »Ziemlich ähnlich wie Texas, ja«, sprach Howard weiter, »nur daß diese Nachwelt nur eine bläßliche Kohlekopie der Wirklichkeit ist. Bloß ein unbeholfener erster Entwurf, weiter nichts. Siehst du den Sandsturm, der sich da drüben zusammenbraut? Die Sandstürme, die wir hatten, die bedeckten ganze Bezirke! Du siehst das Wetterleuchten da? In Texas wäre sowas als unbedeutendes Flimmern angesehen worden!«
    »Wenn du nur einfach ein bißchen langsamer fahren könntest, Bob…«
    »Langsamer? Bei Chthulus Schnurrhaaren, Mann, ich fahre doch langsam!«
    »Ja, mir ist durchaus bewußt, daß du das denkst.«
    »Und wie ich immer gehört habe, H. P. konnten dich die Leute für deinen Geschmack nie schnell genug rumkutschieren, immer Topgeschwindigkeit, siebzig, achtzig Stundenmeilen, das härteste doch am liebsten, erzählt man sich jedenfalls.«
    »Im anderen Leben stirbt man nur
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher