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Das Land der lebenden Toten

Das Land der lebenden Toten

Titel: Das Land der lebenden Toten
Autoren: Robert Silverberg
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dann etwas namens Dynamo, dann diese scharfen glitzernden elektrischen Leuchten, die in allen Straßen grell erstrahlten, wo früher die freundlichen goldenen Lampen geglüht hatten, und Fabriken wuchsen aus dem Boden und begannen alle möglichen seltsamen Dinge auszuspucken. Und immer mehr und mehr und mehr, erbarmungslos und ohne Unterlaß. Schienenbahnen. Fernsprechgeräte. Selbstfahrende Wagen. Lärm, Gestank, Ruß überall, und nirgends konnte man dem entrinnen. Sie nannten es die Industrielle Revolution. Aber es war weiter nichts als ein unendlicher Angriff der Abscheulichkeiten. Seltsamerweise aber schien jedermann diese neuen Dinge und diese neue Art zu bewundern, ja sogar zu lieben – außer Gilgamesch und einigen wenigen anderen kaputten Konservativen. »Was haben die vor?« fragte Rabelais eines Tages. »Wollen sie das hier zur Hölle machen?« Die Später Toten brachten Maschinen wie Radios und Fernseher und Computer in die Nachwelt, und alle quäkten englisch, so daß Gilgamesch, der vor langer Zeit dieses neumodische Latein erlernt hatte, als Caesar und seine Leute darauf bestanden hatten, nun schon wieder gezwungen war, sich einer neuen zungenbrecherischen Sprache zu bemächtigen. Es war eine schlimme, eine betrübliche Zeit für ihn. Und dann tauchte endlich Enkidu wieder auf, weit droben in einer der kalten nördlichen Regionen; und er kam südwärts gezogen, und für eine Weile waren sie wieder vereint, und zum zweitenmal stand alles gut für Gilgamesch von Uruk in der Nachwelt.
    Doch nun waren Enkidu und er schon wieder getrennt, und diesmal durch etwas, das kälter war und grausamer als selbst der Tod. Was zwischen sie getreten war, überstieg jegliches Vorstellungsvermögen: Sie hatten sich zerstritten. Es hatte zwischen ihnen Worte gegeben, häßliche Worte von beiden Seiten. Ein Streit, wie sie ihn in tausend Jahren nicht zwischen sich gehabt hatten, nicht im Land der Lebenden und nicht im Land der Nachwelt, und am Ende hatte Enkidu zu ihm das gesagt, was Gilgamesch nie von ihm zu hören erwartet hatte, und das war: »Ich will mit dir weiter nichts zu schaffen haben, du König von Uruk. Wenn sich unsere Pfade je wieder kreuzen, werde ich dich töten.« Konnte dies Enkidu sein, der dieses sagte, fragte sich Gilgamesch, oder sprach da einer der Dämonen der Nachwelt in der Gestalt von Enkidu?
    Jedenfalls, Enkidu war fort. Er verschwand in dem Durcheinander und der unendlichen Kompliziertheit der Nachwelt und entzog sich den Möglichkeiten Gilgameschs, ihn zu finden, und als Gilgamesch ausschickte, um Nachforschungen anzustellen, brachte man ihm nur diesen Bericht zurück: »Er will nicht mehr mit dir sprechen. Er hat keine Liebe mehr für dich, Gilgamesch.«
    Das konnte nicht sein. Es mußte ein böser Zauber sein, dachte Gilgamesch. Bestimmt irgendeine finstere Machenschaft der Später Toten, nur dies konnte den Bruder gegen den Bruder erzürnen und Enkidu dazu bewegen, in seinem Grimm zu verharren. Mit der Zeit, da war er sicher, würde Enkidu den bösen Bann triumphierend durchbrechen, der sein Herz gefangen hielt, und er würde es der Liebe Gilgameschs wieder öffnen. Aber die Zeit verstrich auf die seltsam umschweifige Weise der Nachwelt, und Enkidu kehrte nicht zurück in seines Bruders Arme.
    Was blieb also, außer der Jagd? Und dem Warten und der Hoffnung?
     
     
    So jagte an diesem Tage Gilgamesch im Outback, der verdorrten Buschwildnis der Nachwelt. Er tötete und tötete und tötete wieder, und nun, so spät am Tag, hatte er seinen Pfeil einem Tier durch die Wamme geschossen, das ein noch übleres Ungeheuer war, als man sie gewöhnlich unter den Geschöpfen der Nachwelt fand, aber die Bestie besaß eine erschreckende Vitalität, und sie donnerte davon, und das schwarze Blut troff ihr aus dem durchbohrten Hals.
    Gilgamesch machte sich an die Verfolgung. Es ist sündhaft, zu schießen und zu verwunden und die angeschossene Beute nicht zu töten. Eine lange mühsame Stunde lang rannte er kreuz und quer durch dieses rauhe Land. Dornenpflanzen peitschten mit koboldhafter Bosheit auf ihn ein, der scharfe Wind geißelte ihn mit peitschenden scharfen Staubwolken. Doch die scheußliche Bestie war ihm stets voraus, obschon ihr Blut in Strömen in die ausgetrocknete Erde rann.
    Gilgamesch erlaubte sich keine Müdigkeit, denn in ihm war Götterstärke, dank seiner Abstammung von dem göttlichen Lugalbanda, seinem großen Vater, der König und Gott zugleich gewesen. Dennoch bereitete es ihm
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