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Das Land der lebenden Toten

Das Land der lebenden Toten

Titel: Das Land der lebenden Toten
Autoren: Robert Silverberg
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große Mühe, nicht aufzugeben. Dreimal verlor er seine Beute aus den Augen und spürte sie nur durch die blutige Fährte wieder auf. Das fahle rote Auge der Sonne der Nachwelt schien ihn zu verhöhnen, denn es hing unablässig vor ihm, als wollte es ihn zwingen, ohne Unterlaß weiter zu laufen.
    Dann sah er das Tier, das noch immer stark wirkte, jedoch bereits sichtlich schwankte, um den Rand eines Dickichts von kleinen verkrüppelten fettblätterigen Bäumen schwanken. Ohne zu zögern lief er darauf zu. Die Bäume streichelten ihn lüstern, bedeckten ihn mit ihrem Schleim, versuchten wie ungezogene Höflinge ihn mit ihren Blättern zwischen den Beinen zu kitzeln; doch er schlug sie beiseite und kam schließlich auf eine Lichtung, wo er seine Beute stellen konnte.
    Doch auf deren Nacken klammerte sich eine abstoßende kleine Bestie von Tierdämon, riß blutige Fleischfetzen heraus und ruinierte so die Haut. Daneben hielt ein Landrover, und durch das Fenster spähte ein blasser fremd aussehender Mann mit langen Kinnbacken. Ein zweiter Mann, rot im Gesicht, massig, stand dicht neben der röhrenden, schnaubenden Beute Gilgameschs.
    Das Wichtige zuerst. Gilgamesch packte zu, riß den fauchenden kleinen Aasfresser vom Rücken des größeren Tieres und schleuderte ihn weit fort. Dann rammte er mit aller Kraft den Dolch an die Stelle, wo sich hoffentlich das Herz des waidwunden Tieres befand. Und im gleichen Augenblick fühlte Gilgamesch ein heftiges Zucken in der Brust des Ungeheuers, und der faulige Lebensatem entwich sofort aus ihm.
    Das Werk war getan. Aber wiederum – kein Hochgefühl, keine Erfüllung, sondern nur eine Art trübe aschene Erleichterung, daß etwas Unbeendetes erledigt war. Gilgamesch holte Luft und blickte sich um.
    Was war denn das? Der rotgesichtige Mann schien von einem Wahnsinnsanfall gepackt zu sein. Zitternd und bebend, schweißgebadet sank er auf die Knie – und seine Augen blitzten irre…
    »Lord Conan?« rief der Mann, »Großer König?«
    »Conan gehört nicht zu meinen Titeln«, erwiderte Gilgamesch verwirrt. »Und ich war einst König in Uruk, doch an diesem Ort hier herrsche ich über niemanden. Also, Mann, komm und erhebe dich von deinen Knien!«
    »Aber du bist Conan, wie er leibt und lebt!« stöhnte der Rotgesichtige heiser. »Absolut leibhaftig!«
    Gilgamesch verspürte plötzlich eine heftige Abneigung gegen diesen Kerl in sich aufsteigen. Im nächsten Augenblick würde der zu sabbern beginnen. Conan? Conan? Der Name sagte ihm überhaupt nichts. Nein, warte – er hatte einst einen Conan gekannt, einen kleinen keltischen Burschen, dem er in einer Kneipe begegnet war, ein Kerl mit stumpfer Nase und breiten Wangenknochen und dunklen Haaren, die ihm ins Gesicht hingen, ein betrunkenes zappeliges Kerlchen, das unentwegt vergessene bedeutungslose Kleingötter anrief – ja, das Männchen hatte gesagt, sein Name sei Conan. Jetzt erinnerte sich Gilgamesch wieder. Er trank zu viel, machte der Bardame Ärger, hob sogar die Hand gegen sie, das war – dieser Typ. Gilgamesch hatte ihn in eine offene Jauchegrube geworfen, um ihm Manieren beizubringen. Aber wie kommt der aufgeregte Blasebalg hier dazu, mich mit dem zu verwechseln? Und der brabbelte auch immer noch weiter, etwas von Ländern, deren Namen Gilgamesch nichts sagten: Cimmeria, Aquilonia, Hyrkania, Zamora. Völliger Unsinn. Solche Orte gab es nicht.
    Und dieses Glühen in den Augen des Burschen – was bedeutete dieser Ausdruck? Dieser Ausdruck von Anbetung, beinahe wie im Gesicht einer Frau einem Mann gegenüber, wenn sie entschlossen ist, sich völlig seinem Willen preiszugeben.
    Zu seiner Zeit hatte Gilgamesch diesen Ausdruck oft genug erlebt, von Weibern wie von Männern, und er war ihm willkommen gewesen – zumindest von den Frauen. Er verzog finster das Gesicht. Wofür hält der mich? Glaubt er, wie so viele das fälschlich taten, daß ich, da ich Enkidu mit solch großer Liebe liebte, einer bin, der einem Mann beiliegt wie einer Frau? Denn dem ist nicht so. Nicht einmal hier in der Nachwelt ist es so, sagte sich Gilgamesch.
    »Sag mir alles!« flehte der rotgesichtige Mensch. »Alle diese Großtaten, Conan, die ich mir in deinem Namen erträumt habe, sag mir, wie sie in Wirklichkeit waren! Das Abenteuer in den Schneefeldern, als du die Tochter des Frostriesen trafst – und als du auf der Tigress mit der Königen der Schwarzen Küste segeltest – und dann das andere Abenteuer, als du die Hauptstadt Aquiloniens erstürmtest
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