Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Land der lebenden Toten

Das Land der lebenden Toten

Titel: Das Land der lebenden Toten
Autoren: Robert Silverberg
Vom Netzwerk:
als die Zeit da war, war auch Gilgamesch dem Tod anheimgefallen, um viele Jahre später und um große Weisheitserfahrung reicher, und war in diese Nachwelt gebracht worden; und er suchte nach seinem Enkidu, und an einem herrlichen Tag der Wunder fand er ihn wieder. Die Nachwelt war zu jener Zeit noch viel kleiner, und jeder Mann schien den anderen zu kennen; aber dennoch hatte Gilgamesch eine Ewigkeit gebraucht, ihn aufzuspüren. Ach, was war das für ein wonnevoller Tag! Und wie sie sangen und tanzten bei dem gewaltigen Fest, das kein Ende nehmen wollte! In jenen Zeiten herrschte unter den Bewohnern der Nachwelt eine große Freundlichkeit, und so freuten sich alle und jeglicher, daß Gilgamesch und Enkidu einander wiedergegeben waren. Minos von Kreta schmiß die erste große Party zu Ehren ihres Wiederfindens, danach war Amenhotep an der Reihe, dann Agamemnon. Und am vierten Tag war der Gastgeber der dunkle schlanke Varuna, der Meluhhan-König, und dann, am fünften Tag, versammelten sich die Helden in der uralten Festhalle des Eisjägervolks, wo Vy-otin-der-Einäugige Häuptling war und der Boden bedeckt von Mammutstoßzähnen, und danach…
    Also, so ging es ziemlich sehr lange weiter mit den Festivitäten anläßlich ihrer Wiedervereinigung.
    Unzählige Jahre, erinnerte sich Gilgamesch, lebte er dann mit Enkidu in seinem, Gilgameschs, Palast in der Nachwelt, ganz wie sie dies in den alten Tagen im Land der Zwei Flüsse getan hatten. Und alles stand wohl bei ihnen, und sie jagten viel und feierten Feste. Die Nachwelt war ein fröhlicher, glücklicher Ort. Damals.
    Dann begannen die Scharen der Später Toten einzutreffen, alle diese kleinen schmuddeligen unheldenhaften Leute aus unheldischen Zeiten, und sie brachten ihre ganzen abscheulichen Veränderungen mit sich.
    Sie waren einfach schäbig, diese Später Toten, verwirrt in ihren Seelen und von schwächlicher Einsicht, und ihre erbärmlichen unwichtigen Rivalitäten und Eitelkeitsposen waren ein rechtes Ärgernis. Aber Gilgamesch und Enkidu hielten sich von ihnen fern, während diese Leute alle die Torheiten ihres Lebens neu auflegten, ihre unsinnigen Kreuzzüge und ihre hirnlosen Handelskriege und ihre empörenden theologischen Zänkereien.
    Das wirklich Ärgerliche war, daß sie nicht nur ihre mondsüchtigen absurden Ideen mit in die Nachwelt brachten, sondern auch ihre verfluchten teuflischen modernen Spielzeuge, und darunter waren die übelsten die Dinge, die sie als Schußwaffen bezeichneten. Die auf höchst feige, schamlos unwaidmännische Art mit viel Getöse aus der Ferne die Jagdbeute abschlachten. Ein Held hat gelernt, den Hieb eines Schlachtbeils zu parieren, oder den Stoß eines Schwertes, aber was kann sogar ein Held tun gegen eine Kugel aus der Ferne? Und Enkidu hatte das Mißgeschick, zwischen zwei verfeindete Banden dieser Kanonenschwengel zu geraten: eine Schar schnatternder Spanier und einen miesen Haufen arroganter Englischer, und er versuchte zwischen beiden Frieden zu stiften. Natürlich wollten die keinen Frieden, und bald flogen die Kugeln, und Gilgamesch traf gerade in dem Augenblick auf dem Kampffeld ein, als der Bolzen aus einer Arkebuse seinem geliebten Enkidu das Herz zerriß.
    Keiner stirbt in der Nachwelt auf immer, doch manche bleiben lange Zeit tot, und so kam es mit Enkidu. Es gefiel den unbekannten Mächten, die in diesem Lande herrschten, dem Land der nicht mehr Lebenden, ihn etliche hundert Jahre in den Limbus zu verbannen, ins Abseits zu stellen, dachte Gilgamesch, sofern man die Schwierigkeiten in Erwägung zieht, die derlei Buchführungssachen in der Nachwelt mit sich bringen. Auf jeden Fall aber war es eine schrecklich lange Zeit, und wieder einmal fühlte Gilgamesch, wie diese entsetzliche Vereinsamung über ihn hereinbrach, für die einzig Enkidus Nähe Heilung bringen konnte.
    Indessen veränderte sich die Nachwelt immer weiter, und inzwischen traten diese Veränderungen bestürzend immer rascher auf. Es schien in der Welt weitaus mehr Menschen zu geben als jemals in den alten Tagen, und jeden Tag kamen gewaltige Heerscharen von ihnen in die Nachwelt gezogen, eine wimmelnde Masse von ungeschliffenen Fremdlingen, die sich, nach einer kurzen Zwischenzeit der Verblüffung und Desorientiertheit, rasch anschickten, den gesamten Ort zu etwas ebenso Mißlichem und Abstoßendem umzugestalten wie es die Welt gewesen war, die sie hinter sich gelassen hatten. Es kam die Dampfmaschine, mit ihrem Gestöhne und Getöse und Gestampfe,
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher