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Das laesst sich aendern

Das laesst sich aendern

Titel: Das laesst sich aendern
Autoren: Birgit Vanderbeke
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erzählte. Weichei.
    Es klang lustig, das Wort von Frau Özyilmaz zu hören.
    Ich sagte, von mir haben Sie dieses Wort nicht.
    Sie hatte es von Bora, und der hatte es von seinen großen Cousins.
    In der türkischen Sprache gibt es gleich zwei Wörter, sagte sie, und so lernte ich an diesem Tag meine ersten türkischen Wörter: korkak, yüreksiz. Weichei.
    Sie hatte Herrn Leienbecker erklärt, dass Bora den Ziegenfresser nicht auf sich sitzen lassen konnte, und natürlich war Herr Leienbecker schärfstens gegen das Ziegenfresser- und überhaupt gegen jegliches Mobbing, aber wenn Sie wüssten, liebe Frau Özyilmaz, was die sich alle Tage für Schimpfwörter um die Ohren hauen, sogar schon die ganz Kleinen. Manchmal hat man das Gefühl, man ist im Irrenhaus, da kann man sich keine Empfindlichkeit leisten.
    Und wo er schon bei Boras Empfindlichkeit war, sprach Herr Leienbecker auch rasch noch mit Frau Özyilmaz darüber, dass Bora sich häufig an den Ellenbogen und Knien kratzte; beim Sportunterricht konnte man die entzündeten Flecken sehen, sie nässten, manche waren blutig. Die Mädchen ekelten sich davor und munkelten, dass Bora sich nicht wasche, bei den Jungen ging es derber her, sie reimten Kratzen auf Fratzen.
    Herr Leienbecker blieb neutral und wollte sich keine Diagnose zutrauen, das sei Sache eines Arztes. Immerhin bemerkte er, dass die Haut der Spiegel der Seele sei.
    Sie sind mit dem Kind doch zum Arzt gegangen?
    Er habe gelesen, dass es zu Hautproblemen kommen könne, wenn Mütter ein gestörtes Verhältnis zu ihren Kindern haben, sich nicht um sie kümmerten, vielleicht nicht genug Zeit für sie hätten, weil sie den ganzen Tag arbeiten müssten.
    Familiärer Stress, sagte er und schlug vor, sich darauf zu einigen, dass Bora ein häusliches Problem habe und deshalb zum schulischen Problem geworden sei.
    Frau Özyilmaz deutete an, dass die Schule wohl ein Problem habe, wenn auf dem Schulhof kriegsähnliche Zustände herrschten, aber dann dachte sie daran, dass ihr Sohn Ingenieur werden wollte und dazu eine Empfehlung fürs Gymnasium von Herrn Leienbecker brauchen würde.
    Wie ist es ausgegangen, fragte ich.
    Habe ich Herrn Leienbecker ein chinesisches Sprichwort gesagt. Jedes Ding hat drei Seiten. Eine siehst du, eine sehe ich, die dritte sieht keiner von uns beiden.
     
    Es muss eine Begegnung der dritten Art gewesen sein, sagte ich am Abend, als die Kinder schliefen und wir bei Fritzi und Massimo saßen, um nach den Nachrichten noch ein Glas Wein bei ihnen zu trinken.
    Adam sagte, hoffentlich bleibt Anatol dieser Typ erspart, ich kann das giftige Eideidei nicht gut ertragen; meine Mutter ist jedes Mal ausgerastet, wenn sie wegen einem von uns in die Schule musste. Kann man ja auch verstehen.
    Fritzi sagte, und war Frau Özyilmaz mit dem Kind beim Arzt?
    War sie.
    Und?
    Adam war genervt.
    Jetzt auch noch Psycho, sagte er. Muss man doch die Krätze kriegen.
    Ja, ja, sagte Fritzi, ich weiß, dass Sprechen nichts bringt.
    Nicht, wenn’s nur darum geht, wer den schwarzen Peter kriegt, sagte Adam.
    Wisst ihr, was ein Mechoui ist, sagte Massimo dann nachdenklich.
    Adam und ich hatten keine Ahnung, aber Fritzi war in Frankreich gewesen und hatte dort Mechoui kennengelernt, sie hatte sogar das Rezept, und Massimo zog einen seiner vielen Bildbände aus dem Regal und zeigte uns Fotos von marokkanischen Berbern, die in einem Lehmofen ein Schaf braten.
    Kannst du mir den Band mal leihen, sagte Adam.
     
    Die Özyilmaz wussten auch nicht, was ein Mechoui ist, aber zu Beginn der Sommerferien wusste es ganz Ilmenstett. Es war ein Donnerstag, den ich nicht vergessen werde, weil an diesem Donnerstag der Keim für das Basislager gelegt wurde, für das erste der vielen Basislager, die inzwischen aus dem Boden sprießen, die sich selbstständig machen, hier eines, dort eines, Lager, die in Verbindung bleiben, ein Netz, das sich ausbreitet in den Nischen der Städte, auf stillgelegten Betriebsgeländen, irgendwo in der Pampa, wo vorher nichts war als Brachland. So ein Netz kennt keine Grenzen. Und an diesem Donnerstag hatte es angefangen.
     
    Tags zuvor hatten Adam, Massimo und die Kinder auf unserer Streuobstwiese ein riesiges Loch ausgeschaufelt und mit Ästen gefüllt, die Adam von seinem ersten Baumschnitt übrig hatte. Holzapfel und Herr Özyilmaz waren zum Schlachthof nach Guntersbach gefahren. Fritzi hatte bei der Stadt angerufen und die Genehmigung besorgt. Frau Özyilmaz hatte in der Verwandtschaft herumtelefoniert,
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