Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Kultur-Spiel

Das Kultur-Spiel

Titel: Das Kultur-Spiel
Autoren: Ian Banks
Vom Netzwerk:
tastete sich durch die Vorhänge zurück, voller Schuldbewusstsein wegen dieses Gedankens.
    Am Schreibtisch schaltete er alle Lampen im Raum aus und lehnte sich auf dem Stuhl zurück. Sein Thron, dachte er, und zum ersten Mal seit Tagen lachte er ein wenig, weil er in einem solchen Symbol der Macht saß und sich dabei so absolut machtlos fühlte.
    Er hörte einen Lastwagen vor dem Fenster anhalten, obwohl das eigentlich nicht hätte sein dürfen. Er blieb still sitzen und dachte plötzlich: eine wirkungsvolle Bombe, direkt da draußen…, und bekam mit einem Mal Angst. Er hörte einen Sergeant brüllen, einige Leute sprachen, und dann fuhr der Lastwagen offenbar ein Stück weiter, obwohl er seinen Motor noch gut hören konnte.
    Nach einer Weile hörte er laute Stimmen in der Halle des Treppenhauses. Etwas am Ton dieser Stimmen ließ ihn frösteln. Er versuchte sich einzureden, dass er sich töricht benahm, und schaltete die Lampen wieder an; doch er hörte sie immer noch. Dann erklang so etwas wie ein Schrei, der abrupt abgeschnitten wurde. Er zitterte. Er zog die Pistole und wünschte sich, er hätte eine tödlichere Waffe dabei als diese zierliche kleine Pistole, die zur Ausgehuniform gehörte. Er ging zur Tür. Die Stimmen hörten sich seltsam an; einige waren erhoben, während ein paar Leute offenbar versuchten, die ihren zu dämpfen. Er öffnete die Tür einen Spalt und schlüpfte hindurch; sein Adjutant stand an der Tür am anderen Ende, die zur Treppe führte, und sah hinunter.
    Er schob die Pistole wieder in das Holster. Er ging zu dem Adjutanten und stellte sich neben ihn, um seinen Blick dem des anderen folgen zu lassen, hinunter in die Halle. Er sah Livueta, die mit weit aufgerissenen Augen zu ihm heraufstarrte; bei ihr waren ein paar andere Soldaten und einer der Kommandeure. Sie umringten einen kleinen weißen Stuhl. Er runzelte die Stirn; Livueta sah traurig aus. Er sprang schnell die Treppe hinunter; Livueta kam ihm plötzlich mit fliegendem Rocksaum entgegengehastet. Sie prallte gegen ihn und legte ihm beide Hände auf die Brust, um ihn zurückzuschieben. Er taumelte erstaunt nach hinten.
    »Nein«, sagte sie. Ihre Augen waren glitzernd und starr; ihr Gesicht war so blass, wie er es noch nie gesehen hatte. »Zurück!«, sagte sie. Ihre Stimme hörte sich belegt an, als wäre es nicht ihre eigene.
    »Livueta…«, setzte er wütend an und drückte sich von der Wand ab in dem Versuch, einen Blick um sie herum zu erhaschen auf das, was immer sich im Umkreis des kleinen Stuhls abspielen mochte.
    Sie schob ihn wieder zurück. »Kehre um!«, sagte die belegte, fremd klingende Stimme.
    Er umfasste ihre Handgelenke. »Livueta«, sagte er mit gedämpfter Stimme, während seine Augen flackerten bei dem Versuch, die Leute zu erkennen, die unten in der Halle standen.
    »Kehre um!«, sagte die fremde, beängstigende Stimme.
    Er schob sie voller Wut weg und versuchte, an ihr vorbeizukommen. Sie versuchte, ihn von hinten zu packen. »Zurück!«, japste sie.
    »Livueta, hör auf mit dem Unsinn!« Er schüttelte sie ab, inzwischen peinlich berührt. Er ging eilends die Treppe hinunter, bevor sie ihn wieder packen konnte.
    Doch sie warf sich von hinten auf ihn und umklammerte seine Taille. »Zurück!«, flehte sie wimmernd.
    Er drehte sich zu ihr um. »Lass mich gehen! Ich möchte sehen, was da los ist.« Er war stärker als sie, riss sich aus ihrer Umklammerung und stieß sie zu Boden. Er ging weiter hinunter und schritt über die Steinfliesen zu der Stelle, wo die schweigende Gruppe von Männern um den kleinen weißen Stuhl herumstanden.
    Er war sehr klein; er wirkte so zierlich und zerbrechlich, dass man fürchten musste, er könnte das Gewicht eines Erwachsenen nicht aushalten. Er war klein und weiß, und während er ein paar Schritte weiter nach vorn tat, während die anderen Leute und die Halle und die Burg und die Welt und das Universum in der Dunkelheit und der Stille verschwanden und er dem Stuhl langsam immer näher kam, erkannte er, dass er aus den Knochen von Darckense Zakalwe gefertigt war. Die Oberschenkelknochen bildeten die Hinterbeine, die Schienbeine und einige andere Knochen den Vorderteil. Der Rahmen des Sitzes bestand aus Armknochen, die Rückenlehne aus Rippen. Unter ihnen war das Becken, jenes Becken, das Jahre zuvor zerschmettert worden war, damals in dem Steinschiff; seine Bruchstücke waren wieder zusammengesetzt worden, und das dunklere Material, das die Chirurgen verwendet hatten, war
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher