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Das kritische Finanzlexikon

Das kritische Finanzlexikon

Titel: Das kritische Finanzlexikon
Autoren: Günter Wierichs
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volkswirtschaftlichen Finanzvermögen liegt eine abartige Entwicklung vor. Das viele Geld muss irgendwie untergebracht werden, daher gibt es auch eine so breite Palette an schrägen Produkten wie ABCP , ABS oder Aktienanleihen . Als besonders problematisch können sich außerbilanzielle Geschäfte erweisen.

Abartige Entwicklung (oder: die Emanzipation des Geldes)
    Ein Wanderer kommt in ein Dorf und schaut sich im Gasthaus »Zum Löwen« ein Zimmer an. Den Übernachtungspreis in Höhe von 100 Euro für zwei Nächte (inklusive Frühstück) händigt er sofort dem Wirt aus, vereinbart mit diesem jedoch ein Rücktrittsrecht: Er, der Wanderer, wolle sich noch im Nachbarort umsehen – gefalle es ihm dort besser, werde er in der anderen Gemeinde ein Zimmer suchen.
    Nachdem der Wanderer sich wieder auf den Weg gemacht hat, rennt der Wirt zu seinem Getränkelieferanten und begleicht dort seine letzte Rechnung. Der Getränkelieferant seinerseits hat noch Schulden beim Dorfmetzger, und dieser kann sich jetzt an dem 100-Euro-Schein erfreuen. Leider muss auch er den Schein weitergeben, denn er hat noch eine Verbindlichkeit beim Wiesenbauern zu begleichen. Auch der Wiesenbauer ist jetzt glücklich, kann er doch endlich seinen umfangreichen Bierdeckel beim »Löwen« auslösen.
    Am frühen Nachmittag liegt der 100-Euro-Schein also wieder auf dem Tresen des Gasthauses »Zum Löwen«. Der Wanderer kommt zurück. Es tue ihm sehr leid, sagt er, aber im Nachbarort gefalle es ihm besser. Wenn der Wirt bitte so freundlich sei, ihm die 100 Euro wieder auszuhändigen …
    Der Wirt hat damit kein Problem, ebenso wie die anderen Dorfbewohner. Als der Wanderer den Ort verlässt, feixen alle hinter ihm her, denn das ganze Dorf ist jetzt schuldenfrei.
    So ähnlich beschrieb der Philosoph Peter Sloterdijk vor einigen Jahren eine »kleine monetäre Idylle«, die im Idealfall auch als Erfolgsmuster für Eurokrisen-Rettungspakete infrage kommen könnte. Oder auch nicht.
    Geld hat nach klassischer volkswirtschaftlicher Lehrmeinung im Prinzip drei Funktionen:
    • Es ist Tauschmittel.
    • Darüber hinaus fungiert es als allgemeine Recheneinheit.
    • Drittens dient es als Wertaufbewahrungsmittel, ist also eine Art »Vermögensspeicher«.
    In unserem Beispiel kommt das Geld erst im Nachhinein ins Spiel. Vorher fanden Transaktionen in Form eines Naturaltauschs statt:

    Bier und Fleisch wurden jeweils über zwei Stufen getauscht. Unterstellen wir, dass die Initialzündung vom Getränkelieferanten ausgeht. Das Bier landet im Magen des Bauern; der hat im Gegenzug Fleisch anzubieten, das letztendlich im Verdauungstrakt des Getränkelieferanten, also des Urhebers der Wertekette landet. Alles ist ausgeglichen. Das Geld war also nicht nötig. Daher kann der Wanderer es am Ende der Geschichte auch folgenlos wieder mitnehmen.
    Unterziehen wir nun einmal die drei Geldfunktionen einer näheren Betrachtung:
    • Tauschmittel: Im Prinzip hätten die Beteiligten ihre Transaktionen von Beginn an mit Geld abwickeln können. Der Wirt hätte dem Getränkehändler, der Bauer dem Wirt, der Metzger dem Bauern und der Getränkelieferant dem Metzger 100 Euro in die Hand drücken können. Dann wäre ein 100-Euro-Schein jeweils weitergereicht beziehungsweise durch einen anderen ersetzt worden.
    • Recheneinheit: Diese Funktion hatten die Beteiligten mit ziemlicher Sicherheit im Hinterkopf, denn es ist zu vermuten, dass die jeweiligen Bier- und Fleischportionen einem Gegenwert von 100 Euro entsprachen. (Ob dieser Preis »objektiv« ist, sei dahingestellt.)
    • Wertaufbewahrungsmittel: Diese Funktion liegt in unserem Fall nicht vor. Sie wäre gegeben, wenn der Wanderer beispielsweise dem Bauern einen bestimmten Eurobetrag als Darlehen für eine gewisse Zeit überließe, damit dieser bei der nächsten Viehauktion eine trächtige Sau ersteigert. Durch dieses Geld wäre der Bauer in der Lage, seine Fleischproduktion anzukurbeln; falls er die zusätzlichen Schinken den Dorfbewohnern auch wirklich schmackhaft machen und marktwirksam umsetzen würde, steigerte er Umsatz und Gewinn, so dass er dann nach Ablauf der Darlehensfrist die überlassene Geldsumme inklusive Zinsen wieder zurückzahlen und noch einen Zusatzgewinn einbehalten könnte.
    Bei den Funktionen Tauschmittel und Recheneinheit stehen Geld und Güter in einem unmittelbaren Zusammenhang. Bei der Funktion als Wertaufbewahrungsmittel wird eine Mittelsperson eingeschaltet. In unserem Fall könnte dies der Wanderer sein, in
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