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Das kritische Finanzlexikon

Das kritische Finanzlexikon

Titel: Das kritische Finanzlexikon
Autoren: Günter Wierichs
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kleinen Autoreparaturwerkstatt; er würde gerne expandieren und hat einen Kreditbedarf von 200 000 Euro. Als Kreditlaufzeit schwebt ihm ein Zeitraum von vier Jahren vor. Tamara besorgt sich nun das Geld mit der einjährigen Laufzeit bei der Bank zu 8 Prozent und reicht die Mittel an Herrn Kreuer für vier Jahre gegen einen Zinssatz von 8,5 Prozent weiter. Er spart dadurch 0,5 Prozent Zinsen, und Tamara Kröll erwirtschaftet eine Zinsmarge in gleicher Höhe. Beide gewinnen. Aber wie ist die Lage für Tamara Kröll in einem Jahr?
    Wir sehen, dass Tamara gerne zockt, denn wie hoch die Zinsen in zwölf Monaten sind (und ob sie dann eine entsprechende Anschlussfinanzierung bekommt), weiß sie ja jetzt noch nicht. Sie muss also auf sinkende Zinsen spekulieren; dann würde sich ihre Gewinnmarge sogar erhöhen. Im Fall steigender Zinsen sähe es nicht so gut für sie aus.
    Was Tamara Kröll betreibt, nennt sich Fristentransformation. Das von ihr bei der Bank aufgenommene Geld weist eine kürzere Laufzeit auf als der an Herrn Kreuer weitergereichte Kredit. Bei einer normalen Zinsstruktur und gleichbleibenden beziehungsweise sinkenden Zinsen profitiert derjenige, der Fristentransformation betreibt, zunächst von diesem Geschäftsmodell. Dabei geht er allerdings erhebliche Risiken ein. Aus Sicht von Tamara Kröll könnte zunächst einmal nach einem Jahr die Situation eintreten, dass das Zinsniveau generell steigt. Dann würde sie zum Beispiel auch für Kurzfristkredite plötzlich einen Zinssatz von mehr als 8,5 Prozent zahlen und somit in die Verlustzone kommen. Ferner könnte sich auch bei gleichbleibendem Zinsniveau das Verhältnis von Kurzfristzu den Langfristzinsen drehen. Bei dieser sogenannten »inversen Zinsstruktur«, die zum Beispiel durch eine Erhöhung der kurzfristigen Zinsen durch die Nationalbank entstehen kann, würde sie dann für den einjährigen Kredit bei ihrer Bank einen höheren Zins zahlen, als sie für den langfristigen kassiert – und dadurch wiederum Verluste machen. Hat sie sich aufgrund solcher für sie unvorteilhaften Entwicklungen im Endeffekt bei ihrem Geschäftsmodell übernommen, könnte es sogar dazu kommen, dass die Bank ihr den Geldhahn völlig zudreht.
    Banken können das Prinzip der Fristentransformation aufgrund der ungeheuren Summen, mit denen sie ihre Geschäfte betreiben, generell bis zu einer gewissen Grenze betreiben. Geradezu klassisch ist das Beispiel der Einlagen auf Girokonten. Diese stellen äußerst kurzfristige Verbindlichkeiten dar, denn der Kunde kann morgen schon am Schalter stehen und sein Konto komplett abräumen. Dennoch ist es statistisch erwiesen, dass in normalen Zeiten stets ein gewissen »Bodensatz« von etwa 10 Prozent aller Sichteinlagen bei einer Bank verbleibt. Solange also kein Run auf die Bankschalter erfolgt und alle Kunden laut schreiend vor der Türe stehen, um ihre Einlagen aufzulösen, können diese 10 Prozent von der Bank auch langfristig angelegt werden (Ein solcher Run war zum Beispiel im Zuge der Finanzkrise 2007 sehr anschaulich im Fernsehen und im Internet bei der schottischen Bank Northern Rock zu beobachten. Jüngere Beispiele liefern griechische und zyprische Banken).
    Banken sollten stets die mit der Fristentransformation verbundenen Risiken im Auge haben. Die inzwischen einer breiten Öffentlichkeit bekannt gewordene Hypo Real Estate (HRE) tat dies offenbar nicht. Sie hatte langfristige vergebene Kredite in immer stärkerem Maße durch kurzfristige Geldbeschaffung bei anderen Banken refinanziert. Das Ergebnis ist bekannt: Die HRE musste mehr als 100 Mrd. Euro an staatlichem Kapital und Garantiezusagen in Anspruch nehmen.
    Aber was hat das Ganze mit ABCP zu tun? Die Kurve bekommen wir ganz schnell, wenn wir Tamara raten, ihre Kreditaufnahme mit einem Anschreiben an die Bank zu verbinden:
    Sehr geehrte Damen und Herren,
    ich bedanke mich für die Auszahlung des Kredites über 200 000 Euro (Zinssatz 8 Prozent p.a., Laufzeit 1 Jahr, Kreditvertrag Nr. 12345). Es wird hiermit bestätigt, dass meine Forderung gegen Herrn Peter Kreuer (Zinssatz 8,5 Prozent p.a., Laufzeit 4 Jahre, Kreditvertrag Nr. 12346) als Sicherheit für die Zinszahlungen und die Rückzahlung dieses Kredites dient.
    Mit freundlichen Grüßen
    Stellen wir uns jetzt Hunderte oder Tausende solcher Schreiben vor. Dann könnte Tamara Kröll die vielen so eingesammelten Millionen an ihre zahlreichen Kreditnehmer verteilen. Oder mit dem Geld auch Forderungen beziehungsweise Wertpapiere
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