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Das Kreuz des Südens - Exodus aus Europa. Ein Zukunftsroman

Das Kreuz des Südens - Exodus aus Europa. Ein Zukunftsroman

Titel: Das Kreuz des Südens - Exodus aus Europa. Ein Zukunftsroman
Autoren: Johannes Scharf
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sich insgeheim das viertelstündige Schlagen der Kirchturmuhren zurückwünschte, obgleich sie es niemals selbst erlebt hatte, aber alles mußte besser sein als dieser arabische Muezzin, dem es doch besser anstünde, so dachte sie, seine Brötchen als Marktschreier zu verdienen als mit der Lärmbelästigung ehrbarer Bürger. Außerdem schien ihr das Schlagen von Turmuhren irgendwie vertraut und heimelig zu wirken, jedenfalls paßte es besser in die grüne Landschaft Südenglands als die mehrmals pro Tag heruntergespulten Koransuren. In diesem Punkt war sie sich ziemlich sicher.

    Derweil frühstückte der Rest der Familie gemütlich zu Ende. Thomas war als nächster fertig. Er kam mit seinen rotgelockten Haaren und seinen braunen Knopfaugen ganz nach seiner Mutter. Anders als Susan, die sehr helle, reine Haut hatte und deshalb manchmal direkt bleich wirken konnte, waren Thomas‘ Gesicht und Arme übersät mit Sommersprossen, was ihm ein kesses, freches Aussehen verlieh. Es brandmarkte ihn sogar auf eine unverdiente Art und Weise, da es ihn zum Spitzbuben stempelte, obwohl er es nicht mehr oder minder war als andere Jungen in seinem Alter. Seine Schwester Scarlett hatte die blauen Augen vom Vater geerbt. Georges Haare waren in seiner Kindheit und frühen Jugend ebenso blond gewesen wie jetzt bei seiner Tochter, doch sie hatten mit Eintritt in die Pubertät erheblich nachgedunkelt, so daß sie heute eher hellbraun als dunkelblond erscheinen mußten. Im Sommer allerdings, wenn die Sonne täglich heiß auf sein Haupt brannte, denn er war von Beruf Landschaftsgärtner, wurde das obere Deckhaar zuweilen so ausgebleicht, daß es wieder mittelblond erschien.

Kapitel II

    Der Wagen, ein vier Jahre alter Opel, holperte über die Straße und bohrte sich gleichsam seinen Weg durch das schottische Hochland; nicht schnell, aber beständig kamen sie ihrem Ziel näher und näher. Hinter dem Lenkrad saß Iain MacGregor, der Notarzt aus Glasgow, und auf dem Beifahrersitz links hatte es sich seine Freundin Francis Boyle so bequem wie möglich gemacht. Sie flehte ihn vor jeder nahenden Wegbiegung, vor jeder noch so unscheinbaren Kurve, an, seinen Fuß vom Gas zu nehmen und noch langsamer zu fahren, denn es herrschte dichter Nebel; keine Seltenheit in den Highlands und schon gar nicht dort, wo sie hinwollten, auf dem höchsten Berg der Insel, dem Ben Nevis.

    Die beiden hatten beschlossen, noch einen letzten Wochenendausflug in ihrer Heimat, der sie bald Lebewohl sagen würden, zu unternehmen. Der Wagen war bereits an den Mann gebracht, ebenso die Wohnung, und auch für Iains Stelle war Ersatz gefunden worden, wenngleich ihn die Kollegen nicht gerne gehen sahen, denn er war ein junger, ambitionierter und dabei sehr kompetenter Arzt. Das hatte er bereits mehr als nur einmal seit Beendigung seines Medizinstudiums unter Beweis gestellt. Die Flugtickets lauteten auf den 13. Juni, und auch die Reisevisa waren in trockenen Tüchern – es gab keinen Weg zurück.

    Als Iain gerade im Begriff war, sich erneut mit mäßiger Geschwindigkeit in eine scharfe Kurve zu legen, ertönte die Stimme seiner Liebsten abermals vom Beifahrersitz, und er vernahm die salbungsvoll – mit einem Hauch Empörung – vorgetragenen Worte: „Um Himmels willen, nicht so rasen, Iain – oder möchtest Du unsere Zukunftspläne jetzt noch mit einem Unfall zunichte machen? Dir sähe das wieder gleich.“ Doch Iain ließ sich durch solche Reden nicht aus der Ruhe bringen, denn er konnte sie vorhersagen und wußte außerdem, daß sie nicht böse gemeint waren. Er liebte Francis, und sie liebte ihn; was sich liebt, das neckt sich, so sagt man nicht von ungefähr. Er stichelte also unverdrossen, während er die Geschwindigkeit, die er für angemessen hielt, um keinen Deut verringerte: „Ohne Gas in die Kurve, mit Gas aus der Kurve, hat mein Fahrlehrer immer gesagt. Von Bremsen erwähnte er nichts.“ Sie versuchte daraufhin, ein möglichst wütendes Gesicht zu ziehen, schnitt stattdessen aber unwillkürlich eine so komische Grimasse, daß Iain in schallendes Gelächter ausbrach. Nachgerade entschuldigte er sich prompt, er könne nichts dazu, sie habe nur einfach so wunderhübsch ausgesehen, daß er nicht mehr an sich zu halten vermocht habe. Sie solle sich doch mal mit diesem Gesicht bei einer Model-Agentur bewerben. So ging das bis Fort William, und keiner war dem andern wirklich gram. Autofahrten waren immer so eine Sache – und kaum war man dem Gefährt entstiegen,
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