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Das Kreuz des Südens - Exodus aus Europa. Ein Zukunftsroman

Das Kreuz des Südens - Exodus aus Europa. Ein Zukunftsroman

Titel: Das Kreuz des Südens - Exodus aus Europa. Ein Zukunftsroman
Autoren: Johannes Scharf
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getan. Viele hatten ihre französischen Nachnahmen damals anglisiert. Trotzdem wünschte er manchmal, noch Jardinier zu heißen, denn er war ungemein stolz auf seine Vorfahren, welche, 1755 von den im Britisch-Französischen Krieg siegreichen Briten aus den Atlantikprovinzen Kanadas vertrieben, sich in den Folgejahrzehnten in Louisiana niedergelassen und dessen Bild für 250 Jahre geprägt hatten.
    Wer sprach heute noch jenen eigentümlichen alten westfranzösischen Dialekt, den er als Kind so gerne vernommen hatte? Er selbst und sein Sohn Jaques beherrschten diese Sprache noch, doch fanden sie kaum Gelegenheit, sie zu sprechen, ausgenommen natürlich den Fall, daß sie miteinander palaverten, was durchaus noch oft geschah, den Jacks Sohn arbeitete mit ihm, seit er dem Kindesalter entwachsen war und die Schulbank nicht mehr zu drücken brauchte, auf dem alten Fischkutter, den er, Jack Jardine, der letzte echte Cajun am Ort, sein Eigen nannte.

    Er erhob sich aus seinem Schaukelstuhl und lief zum Kamin, um noch ein oder zwei Scheite auf die Glut zu legen, denn er fror noch immer. Vor sechs Jahren war ihm seine geliebte Frau mit gerade einmal zweiunddreißig Jahren genommen worden. Man hatte sie erschossen und ausgeraubt nahe des Ortes einige Meter abseits des Weges gefunden, doch die genauen Umstände ihres Todes waren ungeklärt geblieben und die Täter nie gefaßt worden. Jardine war sich sicher, daß man niemals ernsthaft nach ihnen gefahndet hatte.

    Ein Mord mehr oder weniger in der Statistik – wen interessierte das schon, außer den nächsten Verwandten, den Angehörigen des Opfers? Die Mordrate lag seit Jahrzehnten jenseits von Gut und Böse, außerdem wurde schlechterdings die Polizei des Bundesstaates durch die sich in Massenschießereien und großflächigen Brandstiftungen äußernde Bandenkriminalität der schwarzen und zunehmend auch lateinamerikanischen Gangs so auf Zack gehalten, daß sie für viele andere Dinge schlichtweg keine Beamten mehr zur Verfügung hatte. Damals war das Feuer in ihm beinahe erstorben, doch die Tatsache, daß er einen gesunden Sohn hatte, in dem auch ein Teil seiner Frau weiterlebte, hatte ihm Kraft gegeben und gab ihm bis heute die Kraft und den Willen weiterzumachen. Es war die Glut, die den Brand in ihm wieder entfacht hatte.
    ♦

    Familie Strafford saß gerade gemeinsam am Frühstückstisch, als ein lauter Ruf ertönte, dem sich eine gleichförmige Litanei in arabischer Sprache anschloß, von der die Straffords freilich nichts verstanden, mit Ausnahme des täglich wiederkehrenden: „Allah ist groß, und Mohammed ist sein Prophet.“ Es war der Muezzin, der in ihre andächtige, morgendliche Stille einbrach, um die Gläubigen ans Morgengebet zu gemahnen. Sie hatten sich mittlerweile an diesen neuen Bestandteil des Tagesrhythmus gewöhnt, denn es war nun schon fünf Jahre her, daß auch in ihrem Dorf große, weittragende Lautsprecher am Minarett der örtlichen Moschee angebracht worden waren, um – im Namen der Religionsfreiheit –  Muslimen die Möglichkeit zu geben, ihre Religion in der Weise zu praktizieren, daß sie um ihr Seelenheil nicht zu fürchten brauchten. Ein jeder der Familie Strafford verzog aber gleichwohl Mal für Mal das Gesicht ein wenig, wenn der verhaßte Lärm an ihre Ohren trat.

    Die Familie Strafford, das waren George Strafford, das Familienoberhaupt, seine Frau Susan sowie die beiden Kinder Scarlett und Thomas, der Tom oder Tommi gerufen wurde. Scarlett war mit ihren siebzehn Jahren schon so gut wie erwachsen, während Thomas vor ein paar Tagen erst seinen zehnten Geburtstag gefeiert hatte und damit noch im eigentlichen Sinne ein Kind zu nennen war.

    Als der Muezzin geendet hatte, räusperte sich der Vater und meinte: „Schon eine seltsame Welt, in der wir leben, Kinder…“, worauf ihn diese und auch seine Frau fragend ansahen, als müsse auf diese Feststellung noch etwas folgen. George fuhr denn auch tatsächlich fort: „Wißt ihr, als ich noch ein Kind war, so alt wie Du, Tom, da läuteten viertelstündlich die Kirchturmglocken: ein Gong zur viertel Stunde, zwei zur halben und drei Gongs zu jeder dreiviertel Stunde. War die Stunde voll, so setzte es vier Schläge. Das war nichts Religiöses, es hatte nichts mit Glauben zu tun, sondern es erinnerte die Menschen nur daran, wie viel Uhr es war, was die Uhr geschlagen hatte, wenn man so möchte, versteht ihr?“
    „Und?“ fragten Scarlett und Thomas.

    „Nun ja,“ sagte der Vater, „dieser
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