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Das Kreuz des Südens - Exodus aus Europa. Ein Zukunftsroman

Das Kreuz des Südens - Exodus aus Europa. Ein Zukunftsroman

Titel: Das Kreuz des Südens - Exodus aus Europa. Ein Zukunftsroman
Autoren: Johannes Scharf
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Er wollte lieber mit guten Schotten in der Hölle hausen als mit diesem farbigen Lumpenproletariat, das zumeist nicht einmal die Landessprache, Englisch, verstand – geschweige denn leidlich sprechen konnte, im Paradies wohnen. Das war der Kern der Sache. Als er sich darüber klar wurde, kam Auswanderung nach Neuseeland oder Australien auch für ihn in Frage, er wollte sich nur nicht dazu drängen lassen. Ein Mann mochte es niemals, wenn man ihn zu etwas nötigte. Hier lag der Grund seiner jüngsten Widerreden, aber jetzt würde er mitziehen.
    Just in diesem Moment erfolgte auch schon die Aufforderung, die er auf ihren Lippen las, ehe sie noch ganz darüber glitt: „Dann sag doch endlich Ja zu Neuseeland.“

    „Ja!“ sagte MacGregor und lächelte verschmitzt. „Ja? Habe ich da eben richtig verstanden – oder träume ich etwa?“ Ihre großen grün-blauen Augen, die je nach Lichtverhältnissen mehr in die eine oder andere Farbe spielten, schienen noch größer zu werden, und die Pupillen weiteten sich.

    „Du hast schon richtig gehört, Francis, meine Antwort ist Ja.“

    „Das gibt’s doch nicht, kneif mich mal.“ Sie rieb sich die Augen, als wolle sie sehen, was ihre Ohren hörten. „Das müssen wir feiern!“ jubelte sie und sprang auf. Sie verschwand kurz in der Küche und kehrte mit einer Flasche Schaumwein und zwei Gläsern zurück, über das ganze Gesicht strahlend. Ihre alte Heiterkeit war voll und ganz wiedergekehrt. Sie schenkte ein, setzte sich neben ihn und strich ihm durchs flachsblonde Haar, das heute etwas zerzaust auf dem Kopf saß, und über seine buschigen, roten Koteletten, die er wohl niemals aus seinem Gesicht entfernen würde und die ihn auch aus einer großen Menschenmenge hervorstechen ließen. Wann immer jemand ihn darauf hinwies, daß dieser Backenbart längst außer Mode gekommen sei, entgegnete er nur kurz, er ginge nicht mit der Mode und sei als ganze Person ein einziger Anachronismus.

    Iain war recht hochgewachsen und dabei schlank, so daß er beinahe schlaksig wirkte. Er saß und stand aber stets gerade und aufrecht, fast schon steif. Seine Bewegungen waren des öfteren unvorhersehbar und holprig, das genaue Gegenteil der graziösen, anmutigen Geschmeidigkeit von Francis. Auch war er dem Wesen nach impulsiver, aber sie paßten gleichwohl zueinander und ergänzten sich prima. Das wußten beide.
    Francis erhob das Glas, um mit Iain anzustoßen. Er legte ihr nun ausführlich die Gründe für sein Umdenken dar und meinte abschließend: „Ich hätte Dir schon vor Wochen und Monaten nachgeben sollen, wenn ich’s bedenke, aber besser spät als niemals, meinst Du nicht?“

    „Doch, sicher Mac,“ – so nannte sie ihn manchmal, wenn er besonders liebenswürdig zu ihr war – „ich bin überglücklich.“ Sie besprachen nun das weitere Vorgehen und beschlossen, sich so bald als möglich um Visa und Flugtickets zu bemühen. Iain würde warten müssen, bis man für ihn einen Ersatz gefunden hatte, aber länger als einen Monat wollten sie die Ausreise nicht mehr aufschieben.

    ♦

    „Jardine, Jardine“, sagte der alte Mann mehrmals, kaum hörbar, vor sich hin und blickte dabei angestrengt grübelnd zum offenen Kamin hinüber, in welchem noch ein Holzscheit glomm, oder das, was noch davon übrig geblieben war. Eigentlich war in Louisiana die Heizperiode längst vorüber, aber Jack Jardine fror. Er dachte, es sei das Alter, dabei sah er weit älter aus, als er mit Mitte fünfzig war. Es mußte etwas anderes sein, was ihn zittern und frieren ließ. Er fühlte sich nicht mehr wohl in Boothville-Venice, Louisiana.

    Die Kälte, die all diese fremden Gesichter ausstrahlten, denen er auf Schritt und Tritt in seinem Ort begegnete und die sich in Windeseile vervielfacht zu haben schienen, machte ihm zu schaffen, ging ihm buchstäblich an die Nieren. Was wollten diese Menschen bloß alle in seiner Heimat und wo waren seine alten Nachbarn und Jugendfreunde, mit denen er so viele schöne Stunden hier verlebt hatte?

    Jardine, das war ein Name, der für die Geschichte dieses Stückchen Landes stand, denn ebenso, wie sich der Name seiner französischen Vorfahren mit der Zeit von Acadiens zu Cajuns gewandelt hatte, was eine englische Verballhornung der Bezeichnung darstellte, war auch aus seinem Nachnamen, der ursprünglich Jardinier, also Gärtner, gelautet hatte, Jardine geworden. Er war seinem Großvater nicht gram über diese Namensänderung, denn dieser hatte damit nichts Ungewöhnliches
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