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Das Kreuz des Südens - Exodus aus Europa. Ein Zukunftsroman

Das Kreuz des Südens - Exodus aus Europa. Ein Zukunftsroman

Titel: Das Kreuz des Südens - Exodus aus Europa. Ein Zukunftsroman
Autoren: Johannes Scharf
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vorbildliche Schwester gewesen. Er habe sie immer ihrer zahlreichen Talente wegen beneidet, und nun sei sie tot, weil Deutschlands Straßen des Nachts nicht mehr sicher wären, weshalb seine Familie und er sich auch auf dem Weg nach Neuseeland befänden. Wie es um ihre Gründe stehe, wollte er wissen und suchte damit das Gespräch von dieser für ihn schmerzlichen Erinnerung an ein Ereignis abzulenken, das eine noch frische Wunde in seinem Innern zurückgelassen hatte, die immer wieder aufzubrechen drohte, wenn man sich zu gröblich an ihr zu schaffen machte. Denn noch war er nicht bereit, sich in dieser Sache die Fäden ziehen zu lassen...
    Scarlett bedauerte dies von ganzem Herzen. Sie hätte gerne mehr über die Umstände erfahren. Doch spürte sie, daß es Erik unangenehm war, über dieses Thema zu sprechen. Deshalb setzte sie ihm kurz die Gründe auseinander, derentwegen sie ihrer einstigen Heimat den Rücken gekehrt hatten. Dann kam sie auf das Leben an Bord und schließlich auf Literatur zu sprechen, was eine angeregte Unterhaltung zur Folge hatte, bei der sie beide gleichsam aufblühten. Erik empfahl ihr wärmstens die Werke seines Lieblingsschriftstellers Heinrich von Kleist zu lesen. Sie hingegen warb für jene Alexandre Dumas des Jüngeren. Insbesondere sein Roman „Die Kameliendame“ schien es ihr angetan zu haben.

    Die Unterhaltung der beiden jungen Erwachsenen zog sich noch lange hin – und ehe sie sich’s versahen, war es bereits ein Uhr morgens, was Scarlett erschrocken mit einem zufälligen Blick auf ihre Armbanduhr feststellte. Die Zeit schien ihnen wie im Fluge vergangen zu sein. Sie hätten gerne noch die ganze Nacht so alleine auf der Back gesessen und palavert, doch wollten sie nicht, daß ihre Eltern ihretwegen in Sorge gerieten, weswegen sie sich schweren Herzens entschieden, Abschied zu nehmen. „Morgen um dieselbe Uhrzeit?“ fragte Erik hoffnungsvoll. „Ich werde da sein“, erwiderte Scarlett mit ihrem liebenswürdigen Lächeln, das noch zusätzlich deutlich den Stempel der Verliebtheit trug, „sofern es keine Katzen und Hunde regnet“, fügte sie hinzu und sah Erik dabei an, als wäre das ganz unmöglich.
    Als Scarlett auf Zehenspitzen leise in ihren Wohncontainer trat, fand sie ihre Eltern Susan und George noch bei spärlicher Beleuchtung am Eßtisch sitzen. Ihr Vater schrieb Tagebuch. Was ihre Mutter tat, konnte sie nicht erkennen. Sie saß vermutlich bloß da und leistete ihrem Mann Gesellschaft. Als ihre Eltern aufsahen und das eingetretene Mädchen bemerkten, fragte ihr Vater, der von Thomas natürlich schon alles erzählt bekommen hatte, was sie denn noch – entgegen ihrer eigentlichen Angewohnheit – so lange draußen gemacht habe. Sie habe sich nett unterhalten und dabei die Zeit vergessen, antwortete Scarlett etwas verlegen. Eigentlich brauchte sie sich nicht zu rechtfertigen, denn sie durfte in ihrem Alter kommen und gehen, wann es ihr angenehm erschien. „So“, sagte der Vater, das müsse ja eine wirklich interessante Unterredung gewesen sein, wenn sie dafür freiwillig ihren Schlaf beschneide, welcher jeden Morgen um dieselbe Stunde sein Ende fände. Dann nickten die Eltern verständnisvoll, wünschten Scarlett eine gute Nacht, und ihre Mutter rief, als sie sich umdrehte, um zu Bett zu gehen, im Flüsterton, da Thomas schon fest schlief, hinter ihr her, sie solle ihren Eltern den jungen Mann mal bei Gelegenheit vorstellen. Scarlett errötete wieder, drehte sich aber nicht mehr um, sondern hielt nur kurz inne, dann ging sie, ohne noch etwas zu entgegnen, zu ihrem Nachtlager, legte ihre Kleider ab, zog sich eines ihrer weichen Schlafhemden über und schmiegte sich vergnügt an ihr Kissen. Sie konnte sich nicht entsinnen, jemals so glücklich gewesen zu sein – und in diesem Bewußtsein schlief sie ein.

    ♦

    Am nächsten Tag überquerte die „Samantha II“ den Äquator, welcher seit alters her Anlaß und Kulisse für so manchen Seemannsbrauch bietet. So wurden die Passagiere, die sich gegen zehn Uhr morgens zufällig an Deck des Schiffes befanden, Zeugen eines solchen Kultes: der Äquatortaufe. Die Mannschaft war beinahe vollständig angetreten, dem Spektakel beizuwohnen. Der junge Öler, dessen erste Seereise es war, wurde an einen Container gefesselt, ganz exakt in jener Weise, in welcher man den vermeintlich heiligen Andreas am Kreuz fixiert hatte, um dann mit einem Feuerwehschlauch ordentlich gelöscht zu werden, wiewohl er nicht einmal brannte. Hernach
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