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Das Knochenhaus

Das Knochenhaus

Titel: Das Knochenhaus
Autoren: Stephen Lawhead
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des Grabes. Kein lebender Mensch hatte solch eine Haut. Kit erkannte nun auf einen Blick, dass sie tot war.
    Der Mann, dessen Gesicht zu einer Grimasse der Entschlossenheit erstarrt war, umklammerte den Körper in seinen Armen noch fester – als wollte er seine Kräfte für eine übermenschliche Anstrengung sammeln. Dann brachte er sich und seine Last ins Gleichgewicht und machte einen entschlossenen Schritt auf das Becken aus flüssigem Licht zu. Der erste Schritt brachte ihn an den Rand des Teiches, mit dem nächsten betrat er ihn und tauchte bis zum Schienbein ein; beim dritten war er bis zu den Knien in dem seltsamen Gewässer. Die schillernde Flüssigkeit waberte um ihn herum, dick und zäh wie Honig; und das Leuchten verbreitete sich in Wellen über die Oberfläche, das nur gestört wurde durch das bedächtige Eintauchen des dunkelhaarigen Mannes in den Teich. Er watete weiter und versank immer tiefer in der seltsamen Flüssigkeit, die nun schon gegen seine Schultern schlug und den Leichnam verschluckte, den er so fest umklammert in seinen Armen hielt.
    Ein weiterer Schritt, und der Mann und die tote Frau sanken geräuschlos unter die Oberfläche. Kit blickte gebannt auf die Stelle, wo sie verschwunden waren. Den Ort markierten Ringe aus schimmerndem Licht, die sich wellenförmig über den Teich ausbreiteten und bald auch gegen Kits Füße schlugen. Aber noch etwas anderes geschah: Die Stelle, an der das Paar aus seinem Blick entschwunden war, glühte jetzt in einem rosig-goldenen Farbton. Dieses Leuchten verstärkte sich und breitete sich immer mehr aus, bis der ganze Teich die Farbe von erhitzter Bronze angenommen hatte, die soeben glühend heiß aus dem Schmelztiegel gekommen war.
    Fasziniert beobachtete Kit, wie eine Kuppel aus Licht auftauchte: eine riesige Blase, die sich aus der leuchtenden Flüssigkeit erhob. In der Mitte dieser Kuppel kamen der Kopf und die Schultern des Mannes zum Vorschein, der nun weiter emporstieg. Immer noch hielt er den Körper der Frau fest umklammert, presste sie dicht an seine Brust – doch wenn sie zuvor eine schlaffe, tote Masse in seinen Armen war, so schmiegte sie sich jetzt an ihn und hatte ihre Arme um seinen Nacken geschlungen. Das Gesicht war in seiner Halsgrube verborgen, während er sie lebendig aus dem Teich trug. Ihre Haut, die im Glanz des lebenden Lichts schimmerte, trug nicht mehr länger den entstellenden Farbton des Grabes.
    Kit wäre am liebsten geblieben, um mit anzusehen, wie das Paar wieder zueinanderfand. Doch die Zärtlichkeit, mit welcher der Mann seine geliebte Frau auf den Boden legte, sich dabei niederkniete und mit hohler Hand ihr Gesicht streichelte, gab Kit zu verstehen, dass dieser Moment ausschließlich den beiden gehörte. Rückwärts bewegte er sich vom Rand des Teichs fort. Nachdem er sich umgedreht hatte, um den Ort zu verlassen, warf er noch einen letzten Blick über die Schulter: Während er über den Teich schaute, sah er, dass der Mann wieder aufgestanden war, sein Hemd ausgezogen hatte und es zu einem Kissen zusammenrollte, damit die junge Frau ihren Kopf darauf betten konnte. Der Oberkörper des Mannes war bedeckt mit winzigen blauen Symbolen – Dutzenden von Tattoos. Symbole, die Kit schon zuvor gesehen hatte.
    »Der Mann, der eine Karte ist«, flüsterte er. »Am Quell der Seelen.«

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EPILOG
    E r wartete, bis es dunkel geworden war, und noch eine ganze Weile länger, um sicherzugehen, dass ihm niemand gefolgt war. Erst dann näherte sich Charles Flinders-Petrie dem Heiligen Weg auf einem quälend langen, umständlichen Wanderweg; dabei ging er ein ums andere Mal wieder zurück, bis er sich beruhigen konnte. Die letzte Reise war nervenaufreibend gewesen, und er fürchtete, dass er seine Feinde alarmiert hatte. Doch es schien so, dass er sie tatsächlich abgeschüttelt hatte, wenn auch wohl nur für eine kleine Weile. Das war alles, was er brauchen würde. Ein paar weitere Überquerungen, und es würde zu Ende sein: Die Karte würde für immer verschwinden.
    Dann sollen sie nur ihr Schlimmstes tun , dachte er. Nichts würde ihn zum Reden bringen. Lieber würde er vorher sterben. Bei dem Gedanken, dass er seine Geheimnisse mit ins Grab nahm, erhellte ein Lächeln sein Gesicht.
    Jetzt aber musste er sich um die anstehenden Aufgaben kümmern – der Grund, weshalb er nach Etrurien gekommen war. Obwohl er dem König von Velathri niemals begegnet war, hatte er schon als kleiner Junge den Namen Turms gehört und sich danach gesehnt,
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