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Das kleine Buch vom Riechen und Schmecken

Das kleine Buch vom Riechen und Schmecken

Titel: Das kleine Buch vom Riechen und Schmecken
Autoren: Hanns Hatt , Regine Dee
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bevor der Verstand überhaupt nur die Chance hat zu protestieren.
    Düfte sind wie Schlüssel, die uns ganz plötzlich eine Tür zur Vergangenheit öffnen. Sie überraschen uns mit Erinnerungen, die wir längst vergessen glaubten. Frisch gemähtes Gras riecht nach vergangenen Sommertagen, wo man barfuß und im Badeanzug umherlief, ein Hefeteig lässt Kindertage voller Geborgenheit und Sehnsucht nach der Mutter auferstehen. Die roch übrigens gern nach Lavendel, während der Vater Tabac original benutzte. »Wenn ich das rieche, denke ich immer voller Sehnsucht an meinen Vater«, erzählt ein Duftfan im Internet. »Manchmal öffne ich die letzte Flasche und nehme noch eine Nase voll – nur um das Gefühl zu haben: Er steht wieder neben mir.« Das kann ein anderer gut verstehen, er fragt sich nur: »Gibt es eigentlich Väter, die nicht Tabac benutzt haben?«
    Dufterinnerungen steigen auf, unwillkürlich, unaufhaltsam und ohne dass man sie durch den Filter der Vernunft schicken könnte. Der Verstand spielt keine Rolle, denn die Duftinformationen, die die Nase aufnimmt, werden direkt in jene alten Teile des Gehirns geleitet, die das Reich des Unbewussten ausmachen und für Instinkte, Emotionen und Erinnerungen zuständig sind: das Limbische System (mit Amygdala und Hypothalamus)und denHippocampus.
    Das Denken, Abwägen und kühle Beurteilen findet woanders statt. Limbisches System und Hippocampus kümmern sich einzig um unsere Gefühle und unsere Bedürfnisse: Macht mich der Geruch an? Bekomme ich Angst? Oder werde ich hungrig, weil es nach frischen Brötchen riecht? Da beiße ich gern sofort hinein. Wenn Brandgeruch in die Nase steigt, überlege ich nicht lange, wie die Nummer der Feuerwehr lautet, sondern flüchte lieber sofort. Gerüche sollen warnen und unser Leben retten, genauso wie sie uns verlässlich zum Sex verführen und damit unsere Fortpflanzung sichern.
    Erinnerungen an Düfte, denen wir im Lauf des Lebens begegnen, kehren aus unserem Unterbewusstsein immer wieder zu uns zurück. Aber sie lassen sich durch Verstand und Willenskraft nur selten wiederbeleben. Es nützt deshalb wenig, sich bewusst an einen Duft erinnern zu wollen. »Unser Gedächtnis kann fast alles wiedererstehen lassen, nur Gerüche nicht«, schreibt der Dichter Vladimir Nabokov, »obwohl die Vergangenheit durch nichts so vollkommen wiederauflebt wie durch einen Geruch, der einst mit ihr verbunden war.«
    Dabei sind längst nicht alle Erinnerungen schön. Ein Steckrübeneintopf riecht für viele ältere Menschen nach Verzicht und manch einer verbindet den Duft von Lilien nicht mit Schönheit, sondern mit der tiefen Trauer in der Aussegnungshalle. Ein Kriegsveteran, der in Vietnam Leichen verbrennen musste, konnte später nie mehr tanken gehen, ohne dass ihm übel wurde und er zu zittern begann: Mit Benzin hatte er während des Krieges die toten Körper übergießen müssen. Der direkte Draht zum Limbischen System und zum Hippocampus funktioniert auch hier. Noch nach langen Jahren können Düfte die Erlebnisse von einst auferstehen lassen und Ängste, Schweißausbrüche und Herzklopfen verursachen.
    Dass dieses schlaue System funktioniert, ohne den klugen Verstand einzuschalten, hat Wissenschaftler in der Vergangenheit zu der Meinung beflügelt, der Geruchssinn zähle zu den sogenannten niederen Sinnen. Philosophen wie Immanuel Kant fanden gar, er sei der »unnötigste aller Sinne«. Ganz im Gegensatz zum Sehen und Hören, die beide den Intellekt und das Bewusstsein ansprechen. Dichter und Literaten waren da stets ganz anderer Meinung. Allen voran der Großvater der Dufterinnerungen Marcel Proust, dem der Geschmack seines legendären Madeleine-Kekses reichte, um das ganze Glücksgefühl der Kindheit wieder zu erleben. Er wusste noch nicht, dass man seine Erinnerung einst »Proust-Effekt« nennen würde, aber er war sich damals schon sicher: »Das unbewusste Gedächtnis ist das einzig wirkliche.«

Vom Glück
des Schmeckens

Verrückt nach Schokolade

    Schokolade ist die liebste Nascherei der Deutschen. Im Durchschnitt verspeist jeder von uns satte neunzig Tafeln pro Jahr. Furchtbar ungesund, aber lecker. Ihr Geschmack beruht auf einer wilden Mischung von Duft- und Geschmacksstoffen, wie Wissenschaftler der Deutschen Forschungsanstalt für Lebensmittelchemie jüngst analysiert haben. Sie fanden Aromen von Kartoffelchips, Pfirsichen, Schweiß, Gurken und anderen völlig unschokoladigen Dingen, die offenbar erst zusammen den typischen
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