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Das Kind, das tötet: Roman (German Edition)

Das Kind, das tötet: Roman (German Edition)

Titel: Das Kind, das tötet: Roman (German Edition)
Autoren: Simon Lelic
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wärst …«
    »Bitte, jetzt fang doch nicht so an. Sie hat dich gebeten, mir nichts zu sagen. Sie hat dir verboten, mir was zu sagen.«
    »Aber es lag doch in meiner Hand. Oder etwa nicht? Mich darauf einzulassen oder nicht.«
    »Das weiß ich nicht so genau. So wie ich unsere Tochter kenne, hattest du wohl keine echte Wahl.«
    »Aber ich hätte versuchen können, sie umzustimmen. Woher willst du wissen, dass ich das überhaupt versucht habe?«
    »Ich kenne dich.«
    »Aber …« Megan seufzt. »So oft. Ich war so oft kurz davor, dich anzurufen. Und ich hatte es immer vor, weißt du. Es war immer nur eine Frage der Zeit.«
    »Du hast es mir doch jetzt gesagt, Meg. Ich weiß jetzt Bescheid. Belassen wir es dabei.«
    »Ich hatte Angst, Leo. Das verstehst du doch, oder? Ich hätte es nicht verkraftet, sie noch einmal zu verlieren. Ich habe mir immer gesagt: nach dem nächsten Treffen. Oder nach dem nächsten Brief von ihr. Dann sage ich es ihm.« Megan wendet den Blick von der Straße ab und sieht Leo an, wartet auf seine Reaktion. »Kannst du nicht wenigstens sauer sein?«
    »Weil uns das so viel weiterbringt, meinst du?«
    »Ja!«
    Leo schüttelt den Kopf. »Nein. Nicht auf sie. Und auf dich auch nicht.«
    Megan sieht ihren Mann finster an, aber der schaut nur auf die Straße. »Es war ja auch meine Schuld. Sie ist vor uns beiden weggelaufen, nicht nur vor dir.«
    »Ich weiß.«
    Seine Antwort bringt Megan für einen Moment aus dem Konzept. Welchem Teil von dem, was sie gesagt hat, stimmt er jetzt genau zu?
    Leo bemerkt ihren Gesichtsausdruck und lächelt. »Wir haben Fehler gemacht, Meg«, sagt er schulterzuckend. »Wir beide, genau wie alle Eltern. Aber ich habe die größeren Fehler gemacht.«
    Er lässt ihr nicht die Zeit, über eine Antwort nachzudenken.
    »Kann ich sie noch mal sehen?«, fragt er. »Die Briefe.«
    »Was? Ja klar.« So als hätte er gar nicht fragen müssen. Als hätte er während der letzten sechs Monate die ganze Zeit bloß zu fragen brauchen.
    Er beugt sich hinab in den Fußraum, zu ihrer Handtasche.
    »Ach, das hätte ich fast vergessen«, sagt sie. »Mein Portemonnaie. Das müsste auch da drin sein.«
    Gebückt holt er es heraus und hält es hoch. »Was brauchst du?«
    »Ganz hinten, hinter den Quittungen. Da müssten zwei Zwanziger stecken.«
    Nach einigem Kramen findet er sie. Sie schnappen von selbst auseinander, und er hält sie hoch.
    »Die gehören dir«, sagt sie. Er runzelt die Stirn, und sie lächelt. »Sie hat mir einen Scheck gegeben, und ich musste ihr versprechen, dass ich ihn einlöse. Bei Gelegenheit sollte ich sie dir unbemerkt ins Portemonnaie stecken.«
    Zwei Zwanziger. Genau die haben gefehlt, als Leo endlich dazu gekommen ist, das Geld in seinem Nachttisch nachzuzählen. Dort, wo Ellie sie gefunden hatte. Wo sie auf Vincent Blakes Briefe gestoßen war, als sie eigentlich den Zeitschriftenartikel gesucht hatte, wegen dem Megan so wütend gewesen war.
    Leo faltet die Scheine zusammen. »Benzingeld«, sagt er und steckt sie ohne Eile wieder dorthin, wo er sie gefunden hat. Stattdessen nimmt er die Briefe aus der Handtasche, legt sie in seinen Schoß und lehnt sich zurück. Er sieht durch die Windschutzscheibe, auf die trägen Nieseltropfen und die Autos, die sich jetzt, kurz vor der Ausfahrt, bereits zu stauen beginnen.
    »Das bereut sie nämlich am meisten«, sagt Megan zu ihm, während sie abbremst. Sie wartet, ob irgendeine Reaktion kommt. »Den Brief. Sie schreibt es zwar nicht, aber sie hat es mir gesagt. Beim letzten Mal. Ich weiß, dass sie es ernst gemeint hat.«
    Leo blickt auf die Briefe auf seinem Schoß. Er nimmt den oberen Umschlag in die Hand. Dann legt er ihn zurück und dreht den Stapel um.
    »Sie war wütend, Leo. Und sie hatte Angst. Vor allem, als sie gesehen hat, was dieser Mann geschrieben hat.«
    »Ich mache ihr keinen Vorwurf. Das habe ich dir ja gesagt.« Leo nimmt einen Brief – den ersten diesmal – und zieht ihn aus dem Umschlag. Er hält ihn sich näher ans Gesicht, so als wäre er kurzsichtig. Trotz allem, was sich an ihm verschlechtert hat …
    Nein. Nicht verschlechtert.
    Trotz allem, was sich an ihm verändert hat, weiß Megan, dass mit den Augen ihres Mannes alles in Ordnung ist.
    Er schnuppert an dem Brief.
    Sie dreht den Kopf weg, um ihr Lächeln zu verbergen. Er scheint es zu bemerken und hustet beschämt. Dann legt er den Kopf schräg, um zu zeigen, dass er liest.
    Würde er sie darum bitten, könnte sie ihm den Brief auch
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