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Das Kind, das tötet: Roman (German Edition)

Das Kind, das tötet: Roman (German Edition)

Titel: Das Kind, das tötet: Roman (German Edition)
Autoren: Simon Lelic
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Nachrichten, wie gesagt, und außerdem wollte ich …«
    Der Piepton schneidet ihr das Wort ab.

    Sie streift durchs Haus. Zuerst nur, um nicht weiter herumzusitzen, doch dann geht sie die Ereignisse der Vergangenheit noch einmal ab. Das Wohnzimmer zum Beispiel: Da hat Leo es ihr gesagt. Sie saß da, an ihrem Schreibtisch, und er stand in der Tür, mit einer Art Lächeln auf dem Gesicht, aber er schwitzte auch und sagte, Meg, du errätst nie, was mir heute passiert ist. Aber sie konnte es erraten. Aus irgendeinem Grund wusste sie einfach Bescheid, nachdem sie an jenem Tag die Abendnachrichten gehört hatte.
    Es ist reiner Zufall, dass sie diesen Raum kaum noch betritt, da ist sie sich fast sicher. Die Küche genügt ihr – die Küche, ein Bad und das halbe Schlafzimmer. In die anderen Räume einschließlich des Wohnzimmers geht sie nur noch zum Saubermachen. Eigentlich der Gipfel der Absurdität, kommt ihr jetzt in den Sinn.
    Sie sollte das Haus wirklich verkaufen. Sie hatte es gewollt – sie hat darum gekämpft oder war für einen Kampf gerüstet gewesen –, aber eigentlich braucht sie es nicht. Nachdem sie es gekauft hatten, war sie begeistert gewesen, wie authentisch es war, aber jetzt wirkt es irgendwie heruntergekommener als die viktorianischen Reihenhäuser draußen vor dem Tor. Die Decke ist von Rissen durchzogen, und die Sockelleisten biegen sich von der Wand weg. Das Haus setzt sich, so hat Leo es ausgedrückt. Und nicht nur das Haus, sondern auch das Grundstück in dieser flachen, überteuerten Gegend.
    Allein die Fenster. Sie sind aus Kunststoff und längst nicht mehr weiß, sondern gelblich. Zwischen den Scheiben hat sich Kondenswasser gesammelt, so als würde ein unsichtbares Gesicht gegen die Scheibe gepresst und spähte herein, verschleiert von der kalten Nachtluft.
    Sie dreht sich um und schließt die Tür, einen Augenblick zu spät, um die Erinnerung auszusperren.
    Die Treppe in der Mitte des Flurs lockt sie, das Geländer wie zwei ausgestreckte Arme, doch oben auf dem Absatz befindet sich nur das Badezimmer und ihr halbes Schlafzimmer – dort oben gibt es nichts, was sie in dieser Stimmung betrachten will.
    Das Arbeitszimmer: Das war sein Schlachtfeld. Jetzt ist es leer, bis auf ihren Laptop und ein paar lose Blätter. Hier saß er meist bis spät in die Nacht und plante den Weg zu seiner Niederlage. Denn dass er scheitern würde, stand von Beginn an außer Frage, es ging nur um das Wie: massiv, auf ganzer Linie oder in einem Maße, wie man es sich nicht hat vorstellen können. Meg war damals fasziniert, trotz allem, was auf dem Spiel stand. Hier hat sie gestanden, hinter seinem Stuhl, oder dort auf einem Stoß Akten gehockt.
    Bitte, Meg, ich habe mein System.
    Jetzt komm zum Abendessen, Leo, sonst esse ich mit deinem System.
    Doch das war nur am Anfang. Bald scherzten sie nicht mehr, und bald kam sie auch nicht mehr zu ihm ins Arbeitszimmer. Damit war es vorbei, als ihr klar wurde, in was ihr Mann sie drei da hineingeritten hatte.

    Als Leo schließlich zurückruft, geht sie nicht ran. Sie traut sich selbst nicht über den Weg. Sie sitzt im Arbeitszimmer, vor sich auf dem Monitor des Laptops das Foto, um das sie jahrelang einen Bogen gemacht hat. Es machte sie ganz krank, genau wie der Klang seines Namens, des Namens von diesem Kind. Ich weiß nicht, wie du es erträgst, dieselbe Luft zu atmen wie er, hat sie einmal zu Leo gesagt, wie du seinen … Gestank einatmen kannst. Es war ihr nicht leichtgefallen, das richtige Wort zu finden, aber sie hatte das deutliche Gefühl, das trifft es.
    Ihr Ekel kehrt zurück. Ja, das Foto ist bearbeitet. Die Augen des Jungen wirken wie schwarze Schlitze ohne Pupillen, aus seiner Haut ist jeder warme Ton herausgenommen, und die Schatten um ihn herum sind unnatürlich hart. Eigentlich lächerlich, diese plumpen Veränderungen. Vor allem unnötig, wo der verdorbene Charakter des Jungen doch auch so klar zu erkennen ist. Selbst auf den anderen Bildern, die Leo ihr gezeigt hat, sah er nicht aus wie ein Kind. Verglichen etwa mit dem Bild seines Opfers schien der Junge irgendetwas Berechnendes, Künstliches und Unaufrichtiges in sich zu haben. Irgendetwas schlummerte da.
    Sie scrollt weiter zu einem Bild ihres Mannes, unbearbeitet, obwohl man es bearbeiten müsste, wenn es Ähnlichkeit mit dem Menschen bekommen sollte, zu dem ihr Mann geworden ist. So dichtes karamellbraunes Haar, und er schenkte ihm so wenig Beachtung. Nicht einmal vor einem
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