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Das katholische Abenteuer - eine Provokation

Das katholische Abenteuer - eine Provokation

Titel: Das katholische Abenteuer - eine Provokation
Autoren: Deutsche Verlags-Anstalt
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mehr denjenigen, die ihr verfallen sind, mit ewiger Verdammnis, auch denjenigen nicht, die sich ihre schwarzen Verursacher, die »Todsünden«, aufgeladen haben. Die Sünde hat kein metaphysisches Gewicht mehr. Sie wird nicht mehr ernst genommen. Man könnte sagen: Die Sünde hat ein Imageproblem.
    Mit der Sünde ist ein existentielles Abenteuer verloren gegangen. Ein unheimlicher Unschuldswahn hat sich über unsere überraschungsfreie Gesellschaft gelegt, in der Computer und
soziale Netzwerke und Datensammler lückenlose Kontrollen ausüben und dafür sorgen, dass alles verläuft wie geplant und berechnet. Eine schöne neue Welt, in der Google-Chef Eric Schmidt auf einer Konferenz in München ausrufen kann: »Es wird nie wieder Langeweile geben. Keiner kann je wieder verloren gehen, denn es gibt Ortungssysteme. Keiner muss etwas behalten, denn es gibt Speicher.«
    Huxleys Held beharrt auf Gott und der Sünde, gerade weil er auf seiner Freiheit beharrt in der Schönen neuen Welt . Sündenbewusstsein ist das, was uns von anpassungsschlauen Tieren unterscheidet.
    Nach jüdischer, christlicher und islamischer Definition ist sündig derjenige, der sich von Gott entfernt hat. Sünde ist Vertrauensbruch. Gott versteht in diesem Punkt keinen Spaß. Der Sünder schaut in einen metaphysischen Abgrund. Allerdings, wo es keinen Gott mehr gibt, gibt es keine Sünde. Oder doch? Heute ist Sünde allenfalls eine Art Verstoß gegen die soziale Straßenverkehrsordnung und, soweit Schuld und Seelenqual und Gewissensbisse mit ihr verknüpft sind, eine Sache für Therapeuten und in jedem Fall verhandelbar.
    Tatsächlich wird die Verabschiedung der Sünde bei uns nicht groß beklagt. Das sündige Treiben, das uns der Karneval als fünfte Jahreszeit in Köln und Mainz und anderen Hochburgen beamteten Ordensschwachsinns turnusmäßig beschert, unterscheidet sich in seiner Sündigkeit kaum von den übrigen vier. Partnertausch und Ehebruch kommen in jeder besseren Soap-Opera vor, Fluchen oder aufmüpfige Kinder sind Banalitäten, um die sich die Supernanny kümmert, und Geiz ist keine Todsünde mehr, sondern einfach nur geil. Was, könnte man sagen, will man im Karneval noch ausleben, wenn er ganzjährig geworden ist? Der Karneval feierte den Ausnahmezustand. Jetzt ist er die Regel.
    In einem Erzählband hat sich die österreichische Schriftstellerin Eva Menasse mit dem Verfall der Sünde beschäftigt. Ihr Buch heißt Lässliche Todsünden, theologisch unsauber, denn die Kirche unterscheidet streng zwischen lässlicher Sünde und
Todsünde. Und dennoch ist Menasses Titel präzise, denn in unserer Gesellschaft sind die Schwellen verschlurft, all die Lehrerinnen und Regisseure und Kneipiers des gehobenen Mittelstands, die Menasses Menagerie bevölkern, trotten bewusstlos durch ihren sündigen Alltag und machen sich eher nebenbei schuldig durch Gefräßigkeit und Neid, Trägheit und Wollust oder Hochmut.
    Nicht zuletzt die unterschiedliche Evaluierung der Sünde ist schuld an der lähmenden Kommunikationslosigkeit zwischen dem strengen Islam und dem eher lockeren Westen. Die Sünde ist somit bei weitem nicht nur ein theologisches Problem, sie ist ein Politikum. Es ist der »gottlose« und »sündige« Westen, gegen den sich zwanzigjährige Selbstmordattentäter mit ihren Sprengstoffgürteln agitieren lassen, ob es uns passt oder nicht.
    Für den Fundamentalisten ist das irdische Leben nur ein »Transitraum« (Rüdiger Safranski) in Vorbereitung auf das ewige Leben. Auch das Christentum kennt derartige »heiße« Phasen von endzeitlicher Erwartung, am prominentesten in den religiösen Wahnjahren der reformatorischen Täuferbewegung in Münster, die in bizarren Übersprungshandlungen sündigte auf Teufel komm raus, mit Orgien aus Mord und Totschlag, mit Prahlerei, Hochmut und Vielweiberei.
    Um zu begreifen, wie sehr die Sünde auch bei uns einst mehr gewesen ist als der Nasch-Verstoß gegen eine Diätvorschrift, müssen wir zurück zu den Fundamentbrocken unserer Zivilisation, zum Buch der Bücher, zurück in den ehrwürdigen Frühdämmer der Schöpfungsgeschichte, in eine Zeit, als Gott noch direkt mit dem Menschen sprach. Himmel und Erde wurden in Bewegung gesetzt, um, in der Genesis, die Sünde in die Welt zu bringen. Adam und Eva lehnten sich auf im Garten Eden gegen Gottes Verbot, von der Frucht der Erkenntnis zu essen. Sie waren ungehorsam und wurden, mit dem Makel der Erbsünde behaftet, aus dem Paradies vertrieben. Seither ist die Sünde
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