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Das katholische Abenteuer - eine Provokation

Das katholische Abenteuer - eine Provokation

Titel: Das katholische Abenteuer - eine Provokation
Autoren: Deutsche Verlags-Anstalt
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Essays und Romane schreibt, die alles andere als nebenbei sind.
    An diesem Tag hat das Magazin der Süddeutschen Zeitung eine geheimnisvolle Krüger-Geschichte veröffentlicht, über den »Mann, der die Tiere mehr liebte als die Menschen«. Dieser Mann ist Gerichtsvollzieher und nimmt Menschen, die nicht mehr zahlen können, den Fernseher weg oder das Auto, und er übernimmt die Tiere, für die sie nicht mehr aufkommen können. In seinem verwunschenen Haus lebt er, ein moderner Franz von Assisi, mit einer ganzen Manege aus Erdhörnchen, Hunden, Schlangen, Ameisen, und eines Tages ist er weg. Und er bleibt verschwunden.
    Ich kenne Michel Krüger nicht gut. Aber ich staune über sein Pensum und die Ruhe, mit der er es bewältigt, und seine begütigende, besänftigende Wirkung auf mich und alle Menschen. Und seine Gedichte mag ich, weil sie gut und witzig und bildhaft sind, kleine Erzählungen, so genau hingeschaut, so nachdenklich und so voller unverhoffter Pointen. Und nicht wenige davon sind religiöser Natur. Und sie sind hellwach und überzeugen.
    Der Unterschied zwischen mir und Michael Krüger liegt, abgesehen
von seiner Könnerschaft, genau darin: dass ich mit meinem Werben für den Glauben bisweilen die Türen eintrete, während er gar nicht wirbt, sondern Nachdenkliches durch die Dachluke schmuggelt oder durch eine unverschlossene Kellertür.
    In seinem Gedicht »Brief« berichtet er einer Freundin von einem Besuch in einer Dorfkirche. Er »bewegte die Lippen, als hätte ich mitzureden. Es war ganz leicht.« Kein brausendes Offenbarungserlebnis. Der alte Pfarrer pickt lautlos im Evangelium, wie ein schwarzer Vogel, ohne etwas zu finden. »Kein Leitfaden. Kein Trost. / Nach einer Stunde war alles vorbei.«
    Eine ganz unspektakuläre Routineangelegenheit also. Doch selbst die birgt die Chance zur Wandlung. Er verlässt die Kirche und sieht:
    Draußen lag ein unerwartet helles Licht
über dem See, und ein Wind kam auf,
der mich die Unterseite der Blätter
sehen ließ.
    Gott kann nicht geschaut werden, heißt es bei Hildegard von Bingen, er wird durch die Schöpfung erkannt.
    Krüger wuchs in einem Dorf südlich von Leipzig auf, und er hörte seine Großmutter mit Gott hadern, nächtelang, nach der Enteignung. Dieses Gottesgemurmel war sein frühester Kindheitsklang, und der bleibt, sagt er. Sie hat ihn, den Herrgott, direkt angesprochen. »Alles war im Fluss, die einzige Instanz war der protestantische Gott. Und diese Instanz, die immer da war, besonders nachts, die ist geblieben.«
    Diesen Bezug legt man nie ab. Sicher, später kommen dann Sätze wie dieser: »Die Gebete, die wir in den Himmel rufen, kommen ungehört zurück.« Aber das sind dann schon Sätze, die das Absurde kennen, die sich einstellen nach der Lektüre von Camus und vor allem Beckett, dessen Werk ein einziges großes WARTEN ist. Das Warten, und die Kategorie der Vergeblichkeit. Gott zeigt sich nicht. Und auf keinen Fall nimmt
er Anteil.
    »In dem Moment, in dem Gott Rührung zeigt, sind wir verloren«, sagt der Philosoph Emil Cioran. Sagt Krüger. Wir brauchen die Religion nicht für Antworten, sondern in erster Linie, um Fragen zu stellen.
    Die Religion und die Literatur. Alle anderen Götter, insbesondere die politischen, haben versagt für Krüger, die Literatur ist der einzige Gott, der Beständigkeit verspricht. Das einzig Feste in diesem Ozean an Relativierungen ist dann doch, dass man immer wieder die Frage in diesen imaginären Raum hinein richtet.
    Die Kirchen? »Ihre Zeit ist abgelaufen«, sagt Krüger, eher resigniert. Trotzdem brauchen wir sie. Wir brauchen die Form. Wer sich der Liturgie aussetzt, kommt verwandelt zurück wie in dem Gedicht, in dem sich plötzlich die Unterseite der Blätter zeigt.
    Über die letzten Fragen, über Gott redet er in manchen Gedichten mit nachdenklicher Ergriffenheit, in anderen mit ironischer Distanz. Durchaus spielerisch, wie in dem Gedicht, in dem »Marx redet«. Er, Marx, erzählt, dass er Gott ab und zu trifft, gut erholt sieht er aus, von wegen er ist tot.
    Von seinem Projekt
spricht er aus Schüchternheit nie. Bitte,
sagte er kürzlich nach einem langen Blick
auf die Erde, bitte halten Sie sich bereit.
    Was erstens klarmacht, dass göttliche Interventionen nicht ausgeschlossen sind, und zweitens, dass der gute Allmächtige Humor besitzt, wenn er sich ausgerechnet Marx zum Werkzeug wählt. Humor oder eben ein ausgeprägtes Verständnis für Dialektik.
    Allerdings ist Krüger, dem Lyriker,
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