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Das katholische Abenteuer - eine Provokation

Das katholische Abenteuer - eine Provokation

Titel: Das katholische Abenteuer - eine Provokation
Autoren: Deutsche Verlags-Anstalt
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und die Verbeugungen von Muslims aberwitzig. Ich glaube aber, die beiden hätten sich vom Ernst und der Stille der mystischen Nacht ergreifen lassen.
    Auch wenn es die Dominikaner seit 1227 in Hamburg gibt, das kulturreligiöse Klima ist protestantisch. Um den Katholizismus als Volksreligion zu erleben, muss man in den Süden. Ich
lernte Christian Stückl, den Regisseur der Oberammergauer Passionsspiele, bei den Dominikanern in Hamburg kennen, auf einem Empfang, den der Erzbischof gab. Bei Leberkäs und Buletten berichtete er von seiner Arbeit in Oberammergau, von den theologischen Implikationen und Komplikationen seiner Inszenierung und den Verstörungen der Geistlichkeit. Es wurde viel gelacht. Stückl ist groß und kräftig, mit schwarzen Locken und derbem Akzent, ein Mensch, der brennt für seine Kunst, für seine Mission. Er lud mich ein. Da die Passionsspiele nur alle zehn Jahre stattfinden, nahm ich die Einladung an, eher skeptisch. Ich dachte mir: Was soll ich mir diesen für japanische Touristen aufbereiteten religiösen Bauernkitsch antun? Doch dann kam alles anders.
    Das katholische Leidenstheater von Oberammergau
    Ich fuhr zur letzten Vorstellung. Ich fuhr an einem sonnigen Oktobertag mit einem BMW über die Autobahn von München aus nach Oberbayern, um mir ein frommes Schauspiel aus dem 17. Jahrhundert anzuschauen, das die Einlösung eines Gelübdes war. Wenn Gott die Ortschaft von der ringsum wütenden Pest verschont, das war die Abmachung, dann würden die Oberammergauer zum Dank die Passion aufführen. Damals konnte man Gott noch mit solchen Wetteinsätzen kommen. Vielleicht auch heute noch? Vielleicht gibt es ja eine andere Art von Pest, eine, die nicht so ins Auge fällt?
    Damals haben sich beide Seiten an diesen Vertrag gehalten. Oberammergau wurde verschont, weshalb nun alle zehn Jahre die Passionsfestspiele stattfinden. Seit 1633 zum 41. Mal! Was für ein Überlieferungs-Starrsinn, was für eine religiöse Wucht über die Jahrhunderte hinweg, was für eine großartige Zeitkapsel!
    Durch allen Wandel hindurch immer wieder diese eine tiefe Geschichte: wie Jesus Einzug hält in Jerusalem, umjubelt wie
ein Popstar, wie sich die Hohen Priester gegen ihn verabreden, wie die Jünger Loyalität schwören und wie einer darunter ist, der Jesus verrät.
    An diesem Nachmittag ein langsam dämmernder Himmel über der Freilichtbühne, gelbes Laub an einigen fernen Bäumen, und 4000 Zuschauer unter dem Festspiel-Hausdach, still und gebannt. Die Gefangennahme. Die schlafenden Jünger, Jesu Angst auf dem Ölberg. Fackeln auf der Bühne. Die Verhöhnung. Ein Zwischenspiel mit Herodes Antipas und seiner Prunkkarawane mit echten Kamelen. Schließlich der große Prozess mit Pilatus, der Haudegen als Philosoph, das Verhör: »Bist du der König der Juden?« Und diese ungeheure Antwort: »Mein Reich ist nicht von dieser Welt!«
    Das Volk nun ein aufgepeitschter Mob. »Gib uns den Barrabas! « Pilatus wendet sich schulterzuckend ab. »Was ist Wahrheit! « Und verkündet das Urteil. Schließich der Leidensweg, die Kreuzigung: Intime Szenen wie das Abendmahl wechseln mit wuchtigen, großen Theatermomenten wie dem der Kreuzigung, was für eine Aufführung!
    »Was glauben die Leute, wer ich sei?« Diese Frage, die Jesus den Jüngern stellt, stellt sich auch Christian Stückl. Wir sitzen in einem Café in der Nähe des Schauspielhauses, es ist Pause, Stückl muss gleich hinüber in einen VIP-Bereich – die halbe Deutsche Bischofskonferenz ist angereist.
    Ja, wer war Jesus? »Auf alle Fälle ein Jude!« Stückl lässt keinen Zweifel daran, dass die Passion zunächst eine innerjüdische Angelegenheit ist. Jesus ist ein streitbarer junger Jude, der für seine revolutionäre Botschaft, die bis heute gilt, ans Kreuz geschlagen wird. Das Passionsspiel von Oberammergau ist ein musikalisches Festspiel mit Dutzenden von Chormitgliedern und Hunderten von Statisten. Der ganze Ort spielt mit. Ja, ein ganzer Ort stellt sich in den Dienst dieser einzigartigen religiösen Tradition.
    Stückl ist hier aufgewachsen. Er ging im nahen Kloster Ettal zur Schule. Später lernte er Holzbildhauer, Herrgottsschnitzer,
bevor er ans Theater geriet, und er redet von der Theaterei wie ein frommer Handwerker. Alle sind sie aus Oberammergau, natürlich auch der Jesus, Frederik Mayet, der gleichzeitig Stückls Pressereferent ist. Es ist der letzte Tag. Die Jungs tragen die Haare lang, zwei Mädchen aus dem örtlichen Frisiersalon sprechen ein paar Jünger
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