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Das Kastanienhaus

Das Kastanienhaus

Titel: Das Kastanienhaus
Autoren: Liz Trenow
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Gefangenschaft ihm sehr zugesetzt und ihn vorzeitig altern lassen « , sage ich. » Er und Vera heirateten kurz vor Weihnachten 1945, was ihn ein bisschen aufmunterte. Er hat sogar anschließend eine Weile in der Fabrik gearbeitet, doch er hielt es auf Dauer nicht aus. Nach all den Jahren in Gefangenschaft sehnte er sich nach Weite und offener Landschaft, kümmerte sich zunächst ehrenamtlich um den örtlichen Naturschutzverein und bekam schließlich eine Anstellung als Parkaufseher im Naturschutzgebiet. Schlecht bezahlt, aber er liebte es. Ist dort geblieben, bis er in den Ruhestand ging. «
    » Lebt John noch? « , fragt Gwen.
    » Nein, er ist vor fünf Jahren gestorben. Vera ist ebenfalls tot. Sie litt unter schwerer Altersdemenz und verbrachte ihre letzten Jahre in einem Heim. Ich habe es nicht geschafft, mich selbst um sie zu kümmern. «
    » Bei Gott, das Alter ist nichts für Zartbesaitete « , sagt sie, und wir lachen voll gegenseitigen Mitgefühls.
    » Dann hast du am Ende die Fabrik doch alleine geleitet? «
    » Du hast immer behauptet, ich hätte das Zeug dazu. «
    Gwen lächelt. » Ja, das habe ich. «
    » Mum war ein hervorragender geschäftsführender Direktor beziehungsweise Direktorin, wie man heute sagen muss « , sagt Simon. » Von allen in der Branche sehr geschätzt. «
    » Du wolltest es mir am Anfang nicht glauben, nicht wahr? « , sagt sie trocken. » Und hast mir am Ende bewiesen, dass ich recht hatte. «
    Ich hole das Fotoalbum aus meiner Tasche, und wir reichen es herum, lachen über geteilte Erinnerungen. Ich kann es immer noch nicht fassen, dass ich ihnen endlich ohne Angst und Schmerz entgegentreten kann. Ja, ich freue mich sogar über jede Begebenheit, die mir wieder einfällt. Es gibt keine Geister mehr, die mich quälen – vielleicht haben sie ohnehin nur in meiner Einbildung bestanden.
    » Wie läuft das Geschäft? « , fragt Gwen und reicht mir das Album zurück.
    Simon erzählt ihr vom Auf und Ab der letzten paar Jahrzehnte: Rapiermaschinen, die die Schiffchen überflüssig machten und zwanzigmal so schnell weben wie die herkömmlichen Webstühle; die Öffnung der chinesischen Rohseidenvorräte; der Niedergang der Krawatten- und Herrenbekleidungsindustrie; die königlichen Hochzeitskleider, für die Verner’s die Seide geliefert hat. Und er erzählte über den Erfolg eines neuen alten Geschäftszweigs, die Raumausstattung mit Seidenmaterialien, der 1980 wieder in die Angebotspalette integriert wurde. Ein Streit zwischen zwei Brüdern hatte vor hundert Jahren dazu geführt, dass man auf das Geschäft mit der Innenausstattung verzichtete.
    Obwohl sie aufmerksam zuhört, spüre ich ihre Erschöpfung, und vielleicht kommen gerade zudem die Schmerzen zurück. Ihre Energie ist verbraucht. Wir werden bald aufbrechen müssen, und der Gedanke, dass ich sie nie wiedersehen werde, zerreißt mir das Herz.
    » Wir haben das Buch vergessen, Granma. Es liegt im Auto, ich gehe es schnell holen « , fällt Emily ein.
    Sie kommt zurück und hilft Gwen, das Päckchen aufzumachen. Auf dem Einband ist ein Schwarz-Weiß-Foto von Vater zu sehen, der – mit Jim Williams an seiner Seite – stolz neben einer der neuen Webmaschinen steht, die in den späten Zwanzigerjahren eingeführt wurden.
    » Wie wundervoll. Ich hatte das Buch ganz vergessen. Wurde es vor seinem Tod überhaupt fertig? «
    » Nicht ganz. Simon und ich haben es gemeinsam zu Ende geschrieben « , sage ich. » Emily hat sich um die Bebilderung gekümmert, sodass wir es anlässlich der Einhundertfünfzigjahrfeier herausbringen konnten. «
    Sie blättert die Seiten durch, betrachtet die Fotos, berührt die kleinen Seidenproben, die wir in den Anhang geklebt haben. Ich zeige ihr die Titelseite mit meiner Widmung: » Für Gwen, die mir alles über Kette und Schuss beigebracht hat und mir durch die dunklen Zeiten half « , und schlage die Seite mit unserem Foto auf. Da stehen wir vor der Doppelflügeltür am Haupteingang der alten Fabrik und blinzeln in die Sonne. Die Bildunterschrift lautet: Das Managementteam während des Krieges, Lily Verner und Gwen Collins, 1943.
    » Ich erinnere mich gar nicht mehr an die Aufnahme. Mein Gott, waren das schreckliche Klamotten « , lacht Gwen und ruft Cath herbei. » Wie konnte ich nur diese furchtbaren Aufschlaghosen anziehen? « Sie klappt das Buch zu und dreht sich, plötzlich ernst geworden, zu mir um. » Aber wir haben den Laden geschmissen, stimmt’s? «
    » Das haben wir definitiv. Und das habe ich
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