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Das Karpathenschloß

Das Karpathenschloß

Titel: Das Karpathenschloß
Autoren: Jules Verne
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gleichnamige Dorf den Vorberg eines nach Süden verlaufenden Zweiges des Piesagebirges einnimmt.
    Die Landschaft war jetzt menschenleer. Die Feldarbeiter kehren erst mit einbrechender Dunkelheit nach ihrem häuslichen Herde zurück, und Frik hätte jetzt wohl kaum Gelegenheit gefunden, den althergebrachten Guten Tag! mit ihm begegnenden Leuten zu wechseln. Nachdem seine Thiere sich gesättigt, wollte er eben nach einem verschlungenen Thalwege einbiegen, als ihm, etwa fünfzig Schritte stromabwärts der Sil, ein dort auftauchender Mann in die Augen fiel.
    »He! Guter Freund!« rief dieser dem Hirten zu.
    Es war einer jener fremden Händler, die alle Märkte des Comitats besuchen und die man dazwischen in Städten, Flecken und selbst in den geringsten Dörfern antrifft. Sich den Leuten verständlich zu machen, ist ihnen eine Kleinigkeit, sie sprechen eben alle Mundarten. Niemand hätte sagen können, ob der hier Erschienene ein Italiener, Sachse oder Walache sei; man erkannte aber leicht, daß er Jude, polnischer Jude war, an seiner langen hageren Gestalt, der gebogenen Nase, dem spitz auslaufenden Vollbarte, wie an der vorspringenden Stirn und den lebhaften Augen darunter.
    Dieser Hausirer handelte mit Brillen, kleinen optischen Instrumenten, Thermometern, Barometern, geringwerthigen Wanduhren u. dgl.
    Was nicht in seinem, an starken Achselgurten hängenden Waarenkasten untergebracht war, das hing ihm am Halse und am Leibgürtel – ein richtiger wandelnder Kramladen.
    Wahrscheinlich hegte auch dieser Jude die Achtung, vielleicht die stille Scheu, die nun einmal alle Schäfer anderen Leuten einflößen. So begrüßte er denn Frik zunächst mit einer Handbewegung. Dann begann er in rumänischer Sprache, diesem Gemenge aus Latein und Slavisch, mit fremdem Tonfalle:
    »Es geht Euch doch nach Wunsch, guter Freund?
    – Jawohl… je nach der Witterung, antwortete Frik.
    – Dann geht’s Euch heute also gut, denn es ist schönes Wetter.
    – Und morgen desto schlechter, denn da wird’s regnen.
    – Regnen…? rief der Händler. Regnet’s in Eurem Lande auch ohne Wolken?
    – Nun, Wolken werden diese Nacht schon kommen… und zwar von da draußen… von der schlimmen Seite des Berges.
    – Woran erkennt Ihr das?
    – An der Wolle meiner Schafe, die starr und trocken wie gegerbte Haut ist.
    – Das ist freilich eine schlimme Aussicht für die, die draußen im Freien ihre Arbeit haben.
    – Und desto angenehmer für die, die in ihrem Hause unter Dach bleiben können.
    – Gewiß, Schäfer; doch dazu muß man auch ein Haus besitzen.
    – Habt Ihr Kinder? fragte Frik weiter.
    – Nein.
    – Seid Ihr verheiratet?
    – Nein.«
    Diese Fragen stellte Frik, weil sie hier landesüblicherweise an Jeden gerichtet werden, dem man auf der Landstraße begegnet.
    Dann fuhr er fort:
    »Woher kommt Ihr, Hausirer?
    – Von Hermannstadt.«
    Hermannstadt ist eine der bedeutendsten Städte Siebenbürgens. Von dieser aus gelangt man in das bis nach Petroseny herabreichende Thal der ungarischen Sil.
    »Und Ihr geht…?
    – Nach Kolosvar.«
    Um nach Kolosvar (Klausenburg) zu kommen, hat man sich weiterhin im Thale des Maros zu halten und erreicht dann über Karlsburg, längs der ersten Ausläufer der Bilarberge hingehend, die Hauptstadt des Comitats. Die Wegstrecke beträgt etwa zwanzig Meilen (150 Kilometer).
    Diese Händler mit Thermometern, Barometern und allerhand Kleinkram erscheinen immer wie Gestalten besonderer – nur nicht hofmännischer – Art. Das liegt in ihrem Geschäft. Sie »verkaufen Zeit und Wetter« in jeder Form, die Zeit, wie sie verfließt, das Wetter, wie es eben ist und wie es sein wird, wie andere »zweibeinige Ballenthiere« Körbe, Strick-und Baumwollwaaren verhandeln. Man wäre versucht, sie Reisende des Hauses Saturn & Cie. – mit dem »Goldenen Stundenglas« als Waarenchutzmarke – zu nennen. Zweifelsohne machte der Handelsjude diese Wirkung auf den biederen Frik, der verwundert diese Menge von Gegenständen betrachtete, die ihm so gut wie ganz neu waren und deren Bestimmung er nicht kannte.
    »He, Hausirer, fragte er, den Arm vorstreckend, wozu dient das Ding da, das wie die Zähne eines alten Gehenkten an Eurem Gürtel klappert?
    – O, das sind lauter werthvolle Sachen, erwiderte der Fremde, lauter Dinge, die all’ und jedem nützlich sind.
    – All’ und jedem, entgegnete Frik mit den Augen zwinkernd… auch für einen Schäfer?
    – Auch jedem Schäfer und Hirten.
    – Und das lange glänzende Ding
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