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Das Karpathenschloß

Das Karpathenschloß

Titel: Das Karpathenschloß
Autoren: Jules Verne
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Gulden weggegeben, wenn Frik sonst Lust zum Kaufe gezeigt hätte. Der Schäfer feilschte aber nicht. Offenbar unter dem Drucke einer ebenso plötzlichen wie unerklärlichen Verblüffung, senkte er die Hand in den Quersack und brachte das verlangte Geld hervor.
    »Kauft Ihr das Fernrohr für Euch selbst? fragte der Hausirer.
    – Nein… für meinen Herrn, den Ortsrichter Koltz.
    – Dann giebt er Euch zurück, was…
    – Jawohl, die zwei Gulden, die es mich gekostet hat.
    – Wie… die zwei Gulden, sagt Ihr?
    – Natürlich…. Nun übrigens Gute Nacht, Freundchen.
    – Gute Nacht, Schäfersmann!«
    Frik pfiff die Hunde heran, ließ diese die Heerde zusammentreiben und zog rasch in der Richtung nach Werst davon.
    Der Jude, der ihm nachschaute, schüttelte leicht den Kopf, als ob er es mit einem halben Narren zu thun gehabt hätte.
    »Hätt’ ich das gewußt, murmelte er vor sich hin, dann würd’ ich ihm das Fernrohr etwas theurer verkauft haben!«
    Nachdem er dann seine Waaren am Gürtel und auf den Schultern wieder geordnet, schlug er, am rechten Ufer der Sil hinabwandernd, den Weg nach Karlsburg ein..
    Wohin er ging, hat für uns keine weitere Bedeutung. Er taucht nur dieses einzige Mal in unsrer Erzählung auf. Der Leser wird ihn nicht wieder zu sehen bekommen.
Zweites Capitel.
    Mag es sich um Felsenmassen handeln, die in grauer Vorzeit, als der Erdboden noch nicht zur Ruhe gekommen, von der starken Hand der Natur übereinander gethürmt worden waren, oder um Bauwerke der schwachen Menschenhand, über die der Hauch von Jahrhunderten hinweg gestrichen ist – immer bleibt der Anblick nahezu derselbe, sobald man sie aus einigermaßen größerer Entfernung betrachtet. Was rohes und was künstlich bearbeitetes Gestein ist – beides verschmilzt sehr leicht ineinander. Von Weitem weisen beide dieselbe Färbung, dieselben Züge und denselben Verlauf der Linien nach der Perspective auf und gleichmäßig deckt sie die grünliche Patina der Jahrhunderte.
    So verhielt es sich auch mit der Burg – gewöhnlich »das Karpathenschloß« genannt. Es wäre ganz unmöglich gewesen, seine unbestimmten Formen auf jener Hochfläche von Orgall, die es zur Linken des Vulcangipfels krönte, deutlich zu erkennen, vorzüglich, da sich das Bauwerk von den dahinter noch aufstrebenden Bergketten nicht besonders abhebt. Was man versucht ist, für einen hohen Wartthurm zu halten, ist vielleicht nichts als ein steil aufsteigender schlanker Felsen. Wer darauf hinblickt, glaubt wohl den Zinnenrand einer Mauer da zu erkennen, wo sich nur ein ausgezackter steiniger Grat ausdehnt. Das ganze Bild ist schwach, unbestimmt, verschwommen. Nach der Ansicht verschiedner Touristen besteht das ganze Karpathenschloß überhaupt nur in der Einbildung der Bewohner des Comitats.
    Offenbar hätte man sich von dem wahren Sachverhalt sehr einfach überzeugen können, wenn Jemand mit Hilfe eines landeskundigen Führers aus Vulcan oder aus Werst den Thalweg durchschritten, dann die Berghöhe erstiegen und die vielgenannte Burg an Ort und Stelle in Augenschein genommen hätte. Leider wäre ein Führer nur noch weit schwieriger aufzutreiben, als der nach dem Schlosse leitende Weg aufzufinden gewesen. Hier, im Lande der beiden Sil, würde kein Mensch zu überreden gewesen sein, selbst gegen die reichlichste Belohnung einen Fremden nach dem Karpathenschlosse zu führen.
    Lassen wir das übrigens bei Seite, so wäre von jenem alten Ritterwohnsitze etwa Folgendes zu sehen gewesen – das heißt im Sehfelde eines mächtigeren und besseren Fernrohres als durch das Nürnberger Instrument, das der Schäfer Frik für Rechnung des Meister Koltz erstanden hatte.
    Acht-bis neunhundert Fuß unter dem Passe von Vulcan eine sandsteinfarbene Umfassungsmauer, begrenzt mit dichtem Gewirr genügsamer Schlingpflanzen, die sich auf eine Strecke von vier-bis fünfhundert Toisen (780 bis 975 Meter) ausdehnte und dabei den Wellenlinien des Erdbodens folgte. An jeder Ecke eine ausspringende Winkelbastion, von denen die rechts gelegene – auf der auch die berühmte Buche stand – noch ein kleines Wachthäuschen oder mehr eine Art Schilderhaus mit spitzem Dache trug; links erhoben sich mehrere von durchbrochenen Strebepfeilern gestützte Mauern und diese überragte das Thürmchen einer Capelle, deren gesprungene Glocke zum Entsetzen der Bewohner der ganzen Umgebung ertönte, wenn die Stöße des Sturmwindes sie in Bewegung setzten; in der Mitte endlich erhob sich das Schloß, bekrönt
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