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Das Karpathenschloß

Das Karpathenschloß

Titel: Das Karpathenschloß
Autoren: Jules Verne
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von zinnenumschlossener Plattform, mit drei übereinanderliegenden Reihen von Fenstern, deren Scheiben in Blei gefaßt waren und deren unterste Reihe ein runder, terrassenartiger Balcon begleitete; auf der Plattform war schließlich eine hohe Metallstange errichtet, an deren Spitze das Kennzeichen der Feudalherrschaft, ein halb vom Roste zerfressener Wetterhahn, sich knarrend im Winde drehte.
    Niemand hatte eine Ahnung davon, was jene da und dort zerfallene Umfassungsmauer umschließen mochte, und ob sich im Innern des Schlosses noch ein bewohnbarer Raum befände, ebensowenig, ob vielleicht eine Zugbrücke und ein Ausfallthor noch den Zutritt gestatteten. Obwohl das Karpathenschloß thatsächlich besser erhalten war, als es sein Aussehen verrieth, schützte es noch heute eine Art ansteckende Scheu, verstärkt von dem ländlichen Aberglauben, ebenso gut, wie es früher nur seine Donnerbüchsen, Feldschlangen, Bombarden, seine Mörser und andere Artilleriemaschinen vergangener Tage geschützt hatten.
    Und doch hätte das Karpathenschloß den Besuch von Touristen und Alterthumsfreunden gewiß gelohnt. Seine Lage am Rande der Hochfläche des Orgall war ausnehmend schön. Von der oberen Plattform des Wartthurmes kann der Blick ungehindert bis zu den entferntesten Linien der Bergzüge hinausschweifen. Im Hintergrunde verläuft die hohe wellenförmige und launenhaft verzweigte Kette, die die Grenze der Walachei bezeichnet. Davor höhlt sich das gewundene Thal des Vulcan aus, durch das die einzige gangbare Straße zwischen den Grenzprovinzen hinführt. Jenseits des Thales der beiden Sil liegen die Ortschaften Livadzel, Lonya, Petroseny und Petrilla, die alle an den Mündungen der hier ausgebeuteten reichen Kohlengruben aufgewachsen sind. Schon fast am Horizonte liegen in malerischem Durcheinander verschiedene hohe Berggipfel aufeinander gesattelt, die am Fuße bewaldet, an den Seiten noch grün bedeckt und ganz oben kahl und öde sind und die von den steilen Gipfeln des Retyezat und des Paring 1 beherrscht werden. Noch weiter endlich als das Thal des Hatszeg und der Lauf des Maros grüßen die im Höhendunst verschwimmenden Profile der mittleren transsylvanischen Alpen herüber.
    In der trichterförmigen Mitte dieses Gebietes glänzte früher ein Binnensee, in den sich die beiden Sile ergossen, bevor sie sich einen Ausweg durch die Bergmauer gebrochen hatten. Jetzt bildet die Landstrecke nur eine gewaltige Kohlenlagerstätte mit allen Vorzügen und Nachtheilen einer solchen. Hochaufgemauerte Schornsteine vermischen sich mit dem Astwerk von Pappeln, Tannen und alten Buchen; ihr schwärzlicher Qualm verpestet die Luft, die früher von erfrischendem Dufte der Fruchtbäume und Blumen gesättigt war. Zur Zeit, wo diese Erzählung spielt, hatte der Minenbezirk, obwohl ihn die Industrie in ihrer eisernen Hand hielt, noch nichts von der ihm von der Natur verliehenen Wildheit verloren.
    Das Karpathenschloß stammt aus dem zwölften oder vielleicht aus dem dreizehnten Jahrhundert. Unter der Herrschaft der Häuptlinge oder Woiwoden jener Zeit, trachteten Klöster, Kirchen, Paläste und Schlösser nicht minder wie Flecken und Städte danach, sich eine Befestigung zu schaffen. Herrenleute und Bauern hatten sich gegen Angriffe aller Art zu wehren. Diese Umstände erklären es, daß der alte Wall der Burg, ihre Bastionen und der Wartthurm das Aussehen eines Feudalsitzes erlangten, bei dem Alles zu einer wirksamen Vertheidigung vorgesehen war. Den Baumeister, der an dieser Stelle, in so gewaltiger Höhe einst die Mauern der Burg errichtet hatte, kennt Niemand; nach unverbürgter Ueberlieferung sollte es der Rumäne Manoli gewesen sein, der in den walachischen Sagen so vielfach gefeiert wird und der zu Curté d’Argis das berühmte Schloß Rudolphs des Schwarzen erbaut hat.
    Herrschen also Zweifel bezüglich des Architekten, so ist das doch nicht der Fall bezüglich der Familie, die diese Burg besaß. Die Barone von Gortz waren schon seit undenklichen Zeiten die Herren des Landes gewesen. Sie kämpften wacker mit in allen Kriegen, die die transsylvanischen Provinzen mit Blut düngten, und schlugen sich gegen die Ungarn, die Sachsen und die Szekler; ihr Name erklingt in den »Cantices«, den »Doïnes« (Volksliedern), in denen das Andenken an jene traurigen Zeiten fortlebt; sie führten als Devise das berühmte walachische Sprichwort:
Da pe maorte,
»gieb bis zum Tode!« Und sie »gaben« immer, sie verspritzten ihr Blut für die Sache der
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